Abschlussgedanken zu meinen 7 Monaten als radelnder INTERSOL-Botschafter

 

Rückblick auf mein Leben als Radreisender

Fast auf den Tag genau 7 Monate lang bin ich seit April dieses Jahres mit einem bis zu 60 kg schweren Fahrrad durch die 4 Andenstaaten Chile, Argentinien, Bolivien und Peru unterwegs gewesen. Von der Pazifikküste in Antofagasta führte mich mein Weg durch die trockenste Wüste der Erde, hinauf auf einige der höchsten Pässe Südamerikas und hinunter in üppige Amazonasregenwälder, durch enge subtropische Schluchten und über die endlosen Weiten der kargen Altiplano-Hochebene Boliviens. Ich kämpfte dabei gegen Wind, Regen und Schnee, gegen ruppige Schotterpisten, wilde Hunde und die Grenzen der eigenen Leidenswilligkeit. Gleichzeitig wurde ich aber auch tagtäglich reich beschenkt. Mit unglaublich herzlichen Menschen am Wegesrand, mit dem Anblick unfassbar schöner Meisterwerke unserer Mutter Erde, mit Momenten grenzenloser Freiheit und mit inspirierenden Beispielen für ein gelingendes Leben in Frieden mit unserer Umwelt.

 

Nach anstrengenden 6825 Kilometern auf meinem liebevoll auf „Pazifikfrachter“ getauften Drahtesel kehrte ich so Mitte November an die Sandstrände des größten Ozeans unseres Planeten zurück und durfte schließlich um einen unbezahlbaren Erfahrungsschatz reicher meine Heimreise aus Lima antreten.

 

Rückblick auf mein Leben als INTERSOL-Botschafter

War ich zu Beginn meiner Reise fast noch etwas verlegen, wenn ich mich im Gespräch mit Fremden hochtrabend mit dem Titel eines Botschafter schmückte, so traue ich mir mittlerweile mit voller Überzeugung zu behaupten, dass es wohl keine Bezeichnung gibt, die den Kern meiner Kooperation mit INTERSOL besser ausdrücken können hätte.

 

Was mich zu diesem Schluss bringt waren zum einen meine Besuche bei den diversen INTERSOL-Kooperationen und anderen nachhaltigen Solidaritäts-Projekten in Bolivien, im Zuge derer ich stets ganz im Sinne eines Botschafters versuchte Brücken zu bauen - sprich den Leuten in der Heimat von meinen Eindrücken berichtete, aber durch meinen Besuch und den dabei geführten Dialog auch versuchte Motivation und Inspiration zum Weitermachen auf einem nicht immer einfachen Weg zu überbringen.

 

Was ich aber rückblickend fast als wichtigstes Element meiner botschafterlichen Mission sehe, waren die tagtäglichen Begegnungen mit den getroffenen Menschen vor Ort und die übermittelten Botschaften für die LeserInnen meiner Berichte in der Ferne. Durch die Form wie man mit einer Reisebekanntschaft kommuniziert, kann man echtes Interesse am gegenseitigen Austausch zeigen. Alleine durch die Art wie man beim Vorbeifahren grüßt, kann man jemanden vermitteln, dass hier ein Freund aus einer anderen Kultur ist, der sich nichts desto trotz bei Bedarf jederzeit solidarisch zeigen wird. Und mit der Weise wie man über eine Radreise berichtet kann man Menschen zu großen Taten inspirieren, ihnen Hoffnung machen an das Gute zu glauben, oder ihnen Mut schenken einen Schritt in Unbekanntes zu wagen… Ich denke insofern sind wir letztlich doch alle in gewisser Weise Botschafter - jeden Tag, in jedem Moment!

 

Dass ich mit meiner Reise nach aktueller Hochrechnung auch über 3500 Euro an Spendengeldern für die besuchten INTERSOL-Kooperationen in Bolivien lukrieren konnte, scheint mir nachträglich hingegen „nur“ mehr ein erfreulicher NEBENeffekt meines Projektes gewesen zu sein. Was nicht heißen soll, dass mich die unerwartet große Spendenbereitschaft meiner heimatlichen ReisebegleiterInnen nicht trotzdem vom Hocker gehauen hätte!

 

Ich möchte abschließend noch einmal dem Verein INTERSOL für die großartige Unterstützung auf der gesamten Reise danken. Die feierliche Übergabe der gesammelten Spenden wird am 10. Jänner 2014 erfolgen.

 

Daniel Sperl, 01.Dezember 2013

Kilometer-Endstand: 6.825 km

 

SONDERMELDUNG vom ABSCHLUSS meiner Reise

UNGLAUBLICH, ICH HABE ES GESCHAFFT!!! Fast auf den Tag genau 7 Monate nach meinem Start in Antofagasta erreiche ich am 15. November mein Reiseziel Lima. Ein unvergessliches Kapitel meines Lebens geht damit zu Ende. Und ich kann nur noch sagen: Ende gut, alles gut!

Und mit dem nun feststehenden Kilometer-Endstand von 6.825 km stehen somit auch bereits umgerechnet gut 3300 Euro an Spenden für die INTERSOL-Kooperationen in Bolivien fest. COMPAÑERAS Y COMPAÑEROS IHR SEID DER WAHNSINN!!!

Bis Ende November können sich Spätentschlossene noch zwecks Unterstützung des Projekts bei mir melden.

Daniel Sperl, 21.November 2013

Kilometer-Endstand:  6.825 km

Von Berg- und Talfahrten... und Versöhnungen

Auszüge aus den persönlichen Aufzeichnungen zu meinem letzten Monat in Peru, in dem sich der radelnde INTERSOL-Botschafter erstmals seit Beginn seiner Mission wirklich stärkeren mentalen Herausforderungen zu stellen hatte. Aber jede Herausforderung ist bekanntlich auch eine Chance...

 

Manchmal will man auf einer Reise aus gewissen Orten einfach nur mehr wegkommen. Im Eiltempo trete ich wiedermal so einen 4000er-Pass hoch, werde just dort oben von einem starken Regenschauer erfasst und bin froh, dass der alte Mann im “Bergrestaurant” Kamillentee, Schokolade und einen dieser leckeren gekochten Maiskolben mit Frischkäse für mich hat. Als der Regen wieder etwas nachlässt mache ich mich im letzten Tageslicht an die Abfahrt und suche mir im erstbesten Dorf ein kleines, karges Zimmerchen in dem meine Sachen über Nacht ein bisschen trocknen können.

 

Was mache ich dann eigentlich hier in diesem trostlosen und von den größten Minen Peru´s durchzogenen Landstrich??? Gerade auf einer so langen und intensiven Reise wie dieser treten einmal mehr zwei sehr ambivalente Wesenszüge von mir deutlich zu Tage. Einerseits mein großer Drang nach Freiheit und Einsamkeit in unberührter Natur, andererseits meine Bedürfnis nach menschlicher Nähe und sozialen Kontakten. Nun gut, also hinaus mit dem Wolf in die einsamen hohen Berge Zentralperu´s! Eigentlich kommt mir das gerade eh auch ganz gut entgegen. Wenn sich schon die Wege von meinem lieben Freund Roberto und mir in Tarma trennen mussten, so wenigstens möglichst weit weg von aller Zivilisation. JA, das passt gut so, theoretisch zumindest. Wäre da nicht der Umstand, dass sich das Wetter in dieser Gegend seit einigen Wochen immer mehr zum Unfreund des Radfahrers transformieren würde. Im Oktober beginnt hier nämlich die regnerische Jahreszeit, was nun fast jeden Tag einen mehr oder weniger ergiebigen Niederschlag mit sich bringt. Damit könnte ich vielleicht noch leben. Was die Sache aber richtig unangenehm macht ist der Umstand, dass diese Niederschläge hier in den hohen Bergen oft auch von Blitz und Donner begleitet werden. Eine gute halbe Stunde lang liege ich die zweite Nacht nach Tarma in meinem Zelt auf 4600 Metern und hoffe, dass dieses endlich nicht mehr alle paar Sekunden von außen wie taghell erleuchtet werde. Am nächsten Morgen hüpfe ich wie ein kleines Kind durch die von einer weißen Samtdecke überzogen Almlandschaft rund um mein schließlich doch noch zur Ruhe gekommenes Schlafgemach.

 

Ich entscheide mich aber nach kurzer Abfahrt mal wieder für Schotter und das von mir angestrebte Hinterland. Gerade geniese ich noch meine gemütliche Jause in der Wiese neben einer Herde Lamas, als am Horizont schon wieder diese lästigen Gewitterwolken auftauchen, die einen zum Weiterfahren zwingen und die Freude an der durchfahrenen Landschaft stehlen. Ich bin bereits fast am nächsten Pass mit über 4800 Metern als plötzlich von hinten in rasendem Tempo eine weiße Wand herangerollt kommt und mich kurz unterhalb des höchsten Punktes erfasst und verziehe mich für eine Weile notdürftig in eine kleine Felsspalte. Wie schön müsste doch die nun folgende Abfahrt durch ein entlegenes Hochtal bei sonnigem Wetter sein. Ich kann es nur erahnen… Am nächsten Morgen wache ich völlig unerwartet mit wolkenlosem Himmel auf, fahre durch herrliche Landschaft zwischen Lagunen und weißen Bergen und denke mir: “Auch wenn es nur für diesen einen Moment gewesen sein soll, so hat sich dieser Weg schon ausgezahlt!”

 

Tatsächlich soll es bei diesem einzigen Moment bleiben der mir die volle Pracht dieses auf durchschnittlich 4500 Metern gelegenen Gebirgsabschnittes zwischen La Oroya und Cerro de Pasco offenbart. Schon am späteren Vormittag hetzen mich wieder die üblichen dunklen Wolken von Hügel zu Hügel. Auch die hier Großteils von Viehherden, Minenarbeit und Forellenzucht lebende Dorfbevölkerung ist zu meiner Enttäuschung meist wesentlich weniger herzlich, als ich das von meinen bisherigen Peru-Wochen her kannte. Ich bin alles andere als tiefenentspannt und will so schnell als möglich nach Cerro de Pasco kommen. An einem sehenswerten Meisterwerk unserer Mutter Erde, dem Steinwald von Huayllay fahre ich auf Grund des kalten, unfreundlichen Wetters fast emotionslos vorbei und bin froh, als ich 5 Tage nach Tarma endlich in Cerro de Pasco ankomme.

 

Kaum kann ich es glauben, als dort am nächsten Tag mein leibhaftiger Hijo Roberto vor mir steht. Was für eine Freude! Die nächsten Tage werde ich einfach mit Roberto Richtung tropischer Selva hinunterfahren. Die Wölfe heulen wieder und auch wenn es in Wahrheit nur 3 Tage sind die wir noch einmal einen gemeinsam Reiseabschnitt miteinander teilen können, so bin ich dadurch umgehend von meinem Hochland-Trauma geheilt. Beide sind wir außerdem überglücklich nach vielen Wochen in der Sierra endlich wieder mal in tropischen Gefilden gelandet zu sein. Weg vom kalten unfreundlichen Wetter, hin zu warmherzigen Menschen die einen zum Zelten am Dorfplatz willkommen heißen und auch mal einfach so zum Essen einladen.

 

Nach dem endgültigen Abschied von Roberto im Pueblo Pumahuasi rase ich binnen 2 Tagen voller Tatendrang durch den Dschungel ins 240 km entfernte Pucallpa, lasse mich dabei weder von technischen Problemen am Rad noch von den drückenden Temperaturen um die 35 Grad bremsen und treffe so rechtzeitig zum Wochenende in der zweitgrößten peruanischen Dschungelstadt ein. Dort steigt auch grad eine Fiesta mit Tanzmusik. Genau das Richtige für mich. So ignoriere ich gezielt sämtliche im Vorfeld erhaltenen Warnungen, feiere mit einigen partymotivierten PeruanerInnen in die Nacht hinein und wache im Morgengrauen erschrocken am Gehsteig auf. Erinnerung weg, Geld weg, Kamera Nr. 2 weg, ja sogar die Sandalen weg und vor allem mein Peru-Tagebuch weg. An die Leute, die mir gesagt haben, dass hier Gringos gerne K.O.-Tropfen in ihr Getränk gegeben werden, kann ich mich nun allerdings sehr gut erinnern. Ich bin am Boden zerstört. Ich bin zornig, zornig auf die verabscheuenswürdigen TäterInnen, aber auch zornig auf mich selbst. Vor allem bin ich aber sehr traurig wegen der gesamten Situation. Ich wollte hier ein paar Tage entspannen, feiern, tropische Leichtigkeit geniesen und Energie tanken für mein bevorstehendes großes Finale in den hohen Bergen der Cordillera Blanca und jetzt das. 2-3 Tage länger als geplant bleibe ich in Pucallpa um mich irgendwie wieder nach vorne zu orientieren. Einige gute FreundInnen aus der Heimat unterstützen mich dabei über virtuelle Kanäle. Vor allem liegt es nun aber an mir, noch einmal den gleichen Schalter zu finden wie damals beim ersten Kameradiebstahl. Das gestohlene Zeug werde ich nicht wieder zurückzaubern können. Ob ich mir deshalb die letzten Wochen in Peru ruinieren lasse, ist die große Frage die mir das Leben nun stellt. Die Antwort kann nur “NEIN!” lauten. Zu viel Gutes passiert mir hier tagtäglich. Mit dem Schlechten muss ich nun einmal mehr lernen umzugehen. Auch wenn mir mit dem Tagebuch unwiederbringlich ein Stück aus meinem Herzen gerissen wurde, so gelingt es mir tatsächlich mich bis zur Abreise aus Pucallpa mit dieser gemütlichen und vom Sound der Dreirad-Mototaxis geprägten Stadt zu versöhnen.

 

Am nächsten Tag stehe ich bereits wieder auf 4000 Metern. Die Kondition war schon mal besser. Ich fahre die letzten Aufwärtskilometer am letzten Zacken, erhasche oben bei Sonnenuntergang einen verheißungsvollen Blick auf mächtige 6000er-Schneegipfel und darf abends wieder mal vor versammelter Dorfjugend meine Kochkünste zum Besten geben.

 

Auch am nächsten Abend komme ich wieder erschöpft und zu später Stunde in ein kleines Dorf. Dort macht eine Familie grad Picknick auf der Wiese. Eigentlich bin ich schon am Vorbeifahren weil ich ja noch einen Schlafplatz suchen muss, doch als ich im letzten Moment aus dem Augenwinkel eine mir zuwinkende Bierflasche erblicke reisse ich den Lenker ruckartig um 90 Grad herum und erhalte kurz darauf die Einladung im Haus der Familie zu schlafen. Die Eltern leben eigentlich schon seit Jahren alleine in diesem Ort der sich Llata nennt. Alle neun Kinder sind nach Lima abgewandert und kommen nur noch zu bestimmten Anlässen auf Besuch. Ein symptomatisches Beispiel für die demografische Entwicklung Peru´s. Die Hauptstadt wird wohl bald die 10 Millionen-Marke erreichen und damit ein Drittel der gesamten Bevölkerung beherbergen. Ein bischen zu denken gibt mir das schon. Die kleinstrukturierte Landwirtschaft wie sie hier in den Bergen noch fleißig gepflegt wird, wird sich zwangsläufig mehr und mehr auflösen. Doch durch welche Form Landwirtschaft wird sie wohl ersetzt werden...?

 

Der Anlass für den Besuch aus Lima ist übrigens Todos Santos – Allerheiligen/-seelen. Und nicht nur, dass man mich herzlich dazu einlädt doch gleich eine zweite Nacht hier zu verbringen, so stehe ich am nächsten Tag auch schon am Grab der Großeltern. Es geht hier schnell, dass man Teil einer Familie wird.

 

Doch als Viajero muss ich meine Mission nun wieder fortsetzen. Und besser könnte ich ja gar nicht starten, als mit einem trostlosen Regentag in karger Berglandschaft jenseits der 4000 und vorbei an dem wunderschönen Antamina, einer der 10 größten Minen weltweit. Genug kräfteraubende Anstiegskilometer auf unasphaltierten Wegen sind selbstverständlich auch dabei und so darf ich gegen Ende des Tages in einem kleinen Holzhüttlein folgende bezeichnende Botschaft zu Videoprotokoll geben: “Wenn mi heut wer fragen würd, warum i eigentlich di Reise da mach, i könnts erm im Moment ned beantwortn!”

 

Dann lässt mich auf Grund des aufgenommenen Schlamms auch noch meine Schaltung im Stich. Ich bin kurz davor mein Rad auf den nächstbesten vorbeifahrenden Pick-Up zu schmeißen, schiebe schließlich aber doch “lieber” aus eigenen Kraft im Finsteren auf eine kleine Anhöhe rauf und finde dort neuerlich einen Ort der Versöhnung. Ein friedvolles, flaches Wiesenplateau auf der mir der sanfte Regen die ganze Nacht eine wunderbare Melodie auf der Zelttrommel spielt.

Den Blick auf die neben mir emporragende und von manchen Montanisten als schönstes Gebirge der Welt bezeichnete Cordillera Blanca kann ich mir nur in Gedanken ausmalen. Das ändert sich auch am nächsten Tag nicht, aber ich habe mental an mir gearbeitet und mir gesagt, dass ein kompletter Tourenfahrer an Schlechtwettertagen eben die kleinen Dinge am Wegesrand zu schätzen wissen muss. Es funktioniert, ich erfreue mich nun wieder an den Schweinen im Straßengraben, den Blumen und Vögeln und an den immer freundlich grüßenden Leuten sowieso. Dann bekomme ich auch noch unerwartete Begleitung von 2 peruanischen Mountainbikern, die zwar ebenso seit Längerem nach Lima abgewandert sind, aber einen Teil ihres Lebens auch weiter hier am Land auf dem Boden ihrer Eltern verbringen wollen und daher stets gerne zurückkommen. So etwas höre ich gerne und der Tag reiht sich unterm Strich eindeutig unter den besseren der letzten Wochen ein.

 

In San Luis schlafe ich im Privathaus von Yvins der sich sehr an meiner Reise und meinem Solarpanel interessiert. Womit hab ich eigentlich all diese Einladungen verdient? Ich bin nun bereits in “Schlagweite” für den von mir seit Monaten angesteuerten Punta Olimpica, ein Bursche mit dem ich eben seit Jahren noch eine Rechnung offen habe. Wenn alles perfekt läuft werde ich ihn bereits morgen bezwingen können. Die Nacht regnet es teils stark, doch der Morgen ist verheißungsvoll. Ich starte früh, zünde gleich mal den Turbo und lege den ersten Abschnitt bis Chacas in sensationeller Zeit zurück. Der Himmel inzwischen leider schon wieder mehr grau als blau. Es beginnen nun unzählige Serpentinen. Das kommt mir entgegen. Man kann sich hier immer von einer Kurve zur Nächsten weiterpeitschen. Fast eine Stunde früher als kalkuliert erreiche ich so den neuen Tunnel der seit etwa einem halben Jahr durchgängig asphaltierten Passstraße. Diesen werde ich aber nicht nehmen, denn von hier geht es auf der alten Schotterpiste noch 3,5 km und ca. 200 hm bis zum eigentlichen Pass auf 4890 Metern hoch. Teils lassen sich nur wenige Meter fahren bevor es wieder absteigen und schieben heißt. Und besser könnte die Dramaturgie wohl nicht verlaufen, fängt es nun doch plötzlich auch noch zu schneien an. Mir kann das aber nichts mehr anhaben, denn ich weiß, dass ich heute mein Grande Finale erreichen werde. Und tatsächlich, um 16:35 ist es so weit. Ich stehe am Ziel meiner radfahrerischen Träume!

 

Es ist schon spät. Wo soll ich hier eigentlich campieren? Unzählige Serpentinen geht es talwärts. Und dann entdecke ich ihn – DEN PERFEKTEN PLATZ! In der Böschung unter der Straße und dadurch völlig von dieser abgeschottet schwinge ich bei einsetzender Finsternis in einem kleinen Paradis ab. Am nächsten Morgen öffne ich das Zelt um 5 Uhr früh und starre ungläubig auf eine surreal weiß leuchtende Schneewand unter sternenklarem Himmel. Ich befinde mich direkt unter dem höchstem Berg Peru´s, dem 6768 m hohen Huascarán. Eine ganze Stunde starre ich so einfach nur staunend vor mich hin bis sich das Weiß längst in ein intensives Goldgelb verfärbt hat und ich in der Gewissheit bin, dass dies der Platz ist, den ich so lange gesucht habe. Ein Platz an dem ich mein Zelt für 2 Tage am selben Fleck belassen werde. 1,5 Tage lange bin ich einfach nur HIER, teile mir eine prächtige Almwiese mit gemütlich herumgrasenden Kühen und Eseln, mit bunten Schmetterlingen und zwitschernden Vögeln. Ein türkiser Bach plätschert etwas unterhalb meiner Haustüre vorbei und weiße Riesen lachen mir aus allen Himmelsrichtungen von oben zu. Menschen seh ich keinen einzigen und die wenigen Autos die auf der Straße hinter mir vorbeifahren scheinen mir wie durch eine unsichtbare Glaswand von mir getrennt einem anderen Universum anzugehören. einen solch magischen Ort wie diesen zu finden an dem man einfach mal ohne Gedanken an das nächste Etappenziel verweilen kann ist eine gewisse Herausforderung und ein riesiges Geschenk zugleich.

 

Dankbar für dieses I-Tüpfelchen meiner Punta Olimpica Überquerung setze ich meine Reise fort. Ich habe Halsweh und starken Schnupfen und lege mich früh zu Bett. So kann ich am nächsten Tag wieder mit deutlich mehr Energie weiterfahren, komme meinem allerletzten Pass immer näher und lege auf halber Strecke noch eine lange Jausenpause ein während der ich mich auf einer weiten Goldgras-Ebene unter windstillem, blauem Himmel endgültig mit meinen lieben Bergen versöhne, welche mich im letzten Monat mehr an meine mentalen Grenzen gebracht hatten, als ich es für möglich gehalten hätte.

 

Ein seltsames Geräusch an meinem Rad wird immer lauter und lauter und lauter. Bis ich schließlich 5 km vor meiner heiß ersehnten 120 km Abfahrt ans Meer einen 5 cm langen Riss an meiner hinteren Felge entdecke. Das kann doch nicht wahr sein. So lange hat mir mein Rad treue Dienste geleistet und jetzt zum Schluss ist nicht nur die Schaltung völlig außer Takt, der Freilauf für das Hinterrad kurz vorm Kollaps, sondern nun auch noch die Felge im A.... Wie soll ich denn so die bevorstehende Abfahrt überstehen? Die streifende, hintere Bremse wird ausgehängt, etwas Luft aus dem prallen Reifen genommen und los geht´s. Alle paar Kilometer ein Kontrollblick. Der Riss bleibt konstant und ich gewinne wieder Vertrauen. Es scheint mir immerhin ein kleines Wunder zu sein, dass ich diese tatsächlich ohne Abschlepphilfe zu Ende bringe. Dort lasse ich mir um 7 Euro eine billige Felge raufmachen und spüre erstmals nach 7 Monaten wieder die Wellen des Pazifiks um meine Knöchel spülen.

 

Dass mich der penetrante Küstenwind zunächst selbst im Flachen mit nur 9-10 km/h vorwärts kommen lässt, juckt mich nun auch kaum mehr. Ich komme in die ersten Vorstädte von Lima. Immer mehr Häuser, immer mehr Verkehr. Die Stadt ist riesig und optisch nicht besonders schön. Das Zentrum allerdings schon. Hier gönne ich mir gleich ein luxuriöses Mittagessen, suche mir dann einige Freiwillige für ein Abschlussfoto am Plaza de Armas und drehe schließlich noch eine ausgiebige Ehrenrunde. Unglaublich, ich habe es geschafft.

Daniel Sperl, November 2013

Kilometer-Endstand:  6.825 km

SONDERMELDUNG vom HÖHEPUNKT meiner Reise

ES IST VOLLBRACHT!!! 9 Jahre nach dem aus Zeitgründen gescheiterten, ersten Versuch den 4890 m hohen Punta Olimpica mit meinem Cousin per Rad zu überqueren, habe ich am 6. November um 16 Uhr 35 Ortszeit den Kreis geschlossen und mir einen langjährigen Lebenstraum erfüllt!

 

Die in doppelter Hinsicht als radfahrerischer HÖHEpunkt meiner Südamerikatour zu bezeichnende Königsetappe habe ich somit erfolgreich gemeistert. Jetzt heißt es „nur“ noch die restlichen 400 km nach Lima abzuspulen und von dort sollte dann auch der noch ausständige Bericht über die von Höhen und Tiefen geprägten Geschehnissen der letzten Wochen folgen.

 

Daniel Sperl, 09.November 2013

Kilometerstand: 6.470 km

 

 

Übrigens: Ab sofort kann meine tatsächlich zurückgelegte Route auch unter folgendem LINK nachverfolgt werden!

 

Geschichten vom Leben als Radreisender

Es war Montag, der 9. September, als meine schon mehrere Wochen im Vorfeld mit dem schweizer Radtourenpärchen Mirko und Rosina angepeilte gemeinsame Abfahrt aus der Casa de Ciclistas Richtung Peru endlich stattfinden konnte! Alle drei waren wir heiß und hungrig auf unser Comeback am Rad. Zunächst eine noch etwas nervenaufreibende Verzögerung durch die aufwändige Abwicklung meiner Strafzahlung für das überzogene 90-Tage-Visum und dann gleich auch noch eine halbe Stunde Zwangsstopp zum Flicken eines Patschens (dem ersten seit über zwei zugegebenermasen sehr radextensiven Monaten). Mirko und Rosina nehmen es mir nicht übel und wir treten in guter Teamstimmung die 500 Höhenmeter aus dem Kessel von La Paz bis nach El Alto hinauf. Von dort lange auf der schmutzigen Stadtausfahrt, doch das minimale Abwärtsgefälle mit feinem Rückenwind macht richtig Spaß und lässt auch die eine oder andere deftige Abgaswolke verbeifahrender LKWs mit einem Augenzwinkern verkraften. Schön langsam lassen wir das urbane Umfeld des Einzugsgebiets von El Alto-La Paz hinter uns und ziehen hinaus in die karge, trockene Landschaft des Altiplanos. Immer wieder stolze Blicke auf den von uns allen bezwungenen und dauerpräsenten Schneeriesen Huayna Potosí mit seiner Höhe von 6088 Metern. Die von einigen anderen Radlern geäusserten Beschwerden, dass die Leute in der nun von uns durchfahrenen Gegend sonderlich unfreundlich seinen, können wir in keinster Weise nachvollziehen. Allerseits wird uns vom Straßenrand freundlich und meist strahlend zugewunken. Vielleicht kommt es auch darauf an wie man den Leuten begegnet, oder ich habe einfach immer nur das größte Glück von allen, keine Ahnung… Ich jedenfalls genieße es wie eh und jeh, wie leicht man hier durch simple Gesten, oder mit einem kleinen dummen Späßchen eine herzliche Reaktion seines Gegenübers erhält. Auch die Zeltplatzsuche neben der vorerst doch noch recht stark befahrenen Hauptstraße ist völlig problemlos. Bei einem wieder mal besonders überschwänglich grüßenden alten Ehepaar wird kurzerhand um Campinggenehmigung gefragt und wenige Minuten später stehen unsere beiden mobilen Unterkünfte im Kuhacker zwischen Haus und schilfüberwuchertem Ufer des berühmten Titicacasees.

 

Am nächsten Tag geht es nur noch kurz entlang der Hauptroute Richtung Copacabana, ehe wir auf die von mir geplante Route entlang des deutlich ruhigeren Titicaca-Ostufers abzweigen. Schon bald werden wir für diese Alternativvariante belohnt und kurbeln im fröhlichen Dreigespann entlang immer schöner werdender Landstriche vor der Kulisse einer fast endlosen, tiefblauen Seeoberfläche gen Norden. Zeltplatz Nummer zwei ist bereits ziemlich wildromantisch. Er wird 24 Stunden später allerdings von Zeltplatz Nummer drei neben einer wohltuenden warmen Quelle noch völlig in den Schatten gestellt. Was für ein perfekter Abschluss für meine über vier Monate in Bolivien. Nun heisst es nur noch einmal auf Schotterpiste ordentlich bergauf wuchten, ehe ich an der grünen Grenze im trostlos grauen Pueblo Wirupaya per “Sprungschanze” nach Peru hinüberfliege, ohne mir dessen im ersten Moment überhaupt bewusst zu sein. So spektakulär all die Facetten meines Aufenthalts in Bolivien auch gewesen waren, so unspektakulär also meine letzten Sekunden im Land von Chuño & Cholita, Llama & Lagunen, Altiplano & alten Tradtitionen, Coca & (Fairtrade) Kakao, Tropen und “Danielschen” Träumen…

 

Meine Pläne für pathetische Abschiedsinszenierungen werden so durch die einfach nicht vorhandene Grenzindikation komplett unterminiert. Doch das Ankommen in Peru ist zum Glück deutlich weniger schlimm als es Kommentare von trinkfreudigen, bolivianischen Dorfbewohnern tags zuvor befürchten lassen könnten. Denn kaum über der Grenze haben wir bereits das erste, sehr nette Gespräch mit Leuten aus der peruanischen Ortshälfte von Wirupaya. Danach noch ein paar Meter rauf auf eine Anhöhe. Dabei Treff mit zwei Cholitas die Dollares wollen, sich zu gut für Kekse sind und dann beleidigt bei Mirko am Zwiebelgrün zupfen. Oben sensationeller Blick auf den grell reflektierenden Titicacasee und wenig später, ein Camp mit Blick über selbigen. Ich genieße hinter Windschutzfelsen den Sonnenuntergang ehe ich ins Kochgeschäft einsteige. Auf zwei Kochstellen wird ein lecker schweizer Milch-Nudel-Kartoffel-Käse-Zwiebel-Knoblauch-Gericht mit Apfelmus zubereitet…

 

Auch die folgenden Tage sollten mich durchwegs positiv überraschen. Hatte ich einst noch eine Busfahrt zur Abkürzung einer längeren Hauptstraßenfahrt von Juliaca nach Cusco in Betracht gezogen, so sorgt letztlich der gemeinsame Hang von mir und meinen Amigos Suizos zu unasphaltierten Hinterlandpisten für viele prächtige Naturimpressionen und freudebringende Begegnungen mit, den in diesem Ausmass nicht erwartet, herzlichen PeruanerInnen.

 

In Cusco mussten sich die Wege von Mirko & Rosina und mir wieder trennen, denn für die beiden ging es von dort zurück nach Bolivien. Doch zu meiner Freude konnte ich meine Reise nach ein paar Tagen Entspannung nahtlos mit neuer sympathischer Begleitung fortsetzen. Seite an Seite mit der brasilianischen Frohnatur Roberto, werde ich in den folgenden Wochen durch die hohen Berge Perus pedalieren und dabei wieder viele einzigartige Erlebnisse in mich aufsaugen. Voller Motivation verlasse ich also am 24. September mit Roberto das feine Radler-Hostel „La Estrellita“. Noch einmal werden in der Panadaria ums Eck köstlicher Espresso und süße Schokoladenkekschen genossen. Dann schwingen wir unsere stählernen Hinterteile auf den Sattel und kurbeln los. Zunächst ein kleiner Anstieg während der Stadtausfahrt und dann die erste gemeinsame Abfahrt. Lautes Wolfsgeheul schneidet sich in den Fahrtwind und wird ab sofort zum tagtäglichen Kommunikationsmittel in besonders enthusiastischen Momenten. Ich merke sofort, dass die Chemie zwischen uns beiden stimmt! Wir haben ein ähnliches Fahrttempo und lieben es herumzutrödeln und Essenspausen ausgibig zu genießen. Nach einem zweiten kleinen Pass steht uns eine phenomenale 50 km Abfahrt ins Tal des Rio Apurimac bevor und so schaffen wir es unseren Tageskilometer-Zähler trotz spätem Aufbruch aus Cusco noch in den dreistelligen Bereich hinauf zu „pushen“. Belohnt werden wir mit einer Nacht auf Sandstrand unter freiem Himmel – für Roberto, der schon 10 Monate unterwegs ist eine Premiere, die ich gerne mit ihm teile.

 

 

Nach dem Prinzip „What goes down, must bike up“ steht uns am nächsten Tag ein ebenso langer Anstieg bevor. Um genau zu sein, ist dieser sogar noch um ca. 10 km länger und gleichzeitig die Auftakt-Übung für drei weitere derartige Monsterpässe am Weg nach Ayacucho. Wer einmal mit einem schwer beladenen Reiserad einen solchen Anstieg in Angriff genommen hat der weiß, dass man daran durchaus einen ganzen Tag arbeiten kann. So beenden wir unseren Kampf hier bereits fünf km unterhalb des höchsten Punktes und erfreuen uns an einem wunderbaren Zeltplatz neben einem, für mich sehr heimatlich wirkenden Kiefernwald. Auch Roberto, der zum Schluß schon aus dem letzten Loch gepfiffen hat, ist auf Grund dieses Paradeplatzes überglücklich. Es ist immer wieder herlich so hautnah zu erleben wie sich die Vegetation binnen 2000 Höhenmetern sukzessive verändert. Und dieses Naturschauspiel erleben wir auch in umgekehrter Richtung am nächsten Tag wieder, als wir nach den letzten Aufwärtskilometern wieder in ein heißes Tal mit Palmen, Fruchtplantagen und allem was sonst noch dazu gehört hinunterfetzen. Die Wölfe zieht es heulend in die Tiefe, der Kilometerstand schnellt in die Höhe. Am Gegenhang sehen wir bereits was uns als nächstes bevorsteht. Wir schaffen davon nur noch gut 10 km, da uns zusätzlich zur Steigung auch Wind und die (derzeit noch) unasphaltierte Straße ordentlich zusetzen. Der nächste schöne Zeltplatz und das wie immer köstliche Abendessen lassen die Anstrengung schnell wieder vergessen.

 

Tag 4 der gemeinsamen Reise mit Roberto: Wieder Anstieg pur. Vorbei an hunderten stets freundlich bis überschwaenglich grüßenden StrassenbauarbeiterInnen. Hier in Peru schreiten derartige Asphaltierungsprojekte im Gegensatz zu Bolivien rasend voran. Schon bald wird auch dieses letzte noch fehlende Teilstück am Weg von Cusco nach Ayacucho einen befestigten Deckel bekommen. Ich bin immer etwas zwiegespalten wenn ich diesen Fortschritt im Zuge einer Radreise erlebe. Einerseits ist man froh, wenn man auf Asphalt vergleichsweise schnell und bequem vorwärts kommt, andererseits nimmt es dem Charakter einer Straße doch auch viel von ihrem ursprünglichen Charme. Ich bewundere und beneide die Radfahrer, die all diese heftigen Anstiege hier noch vor wenigen Jahren gänzlich auf Schotter und Erde bewältigt haben.

 

 

 

 

Tag 5 – heute steht uns nur noch ein kurzes Bergauf-Stück und eine bereits asphaltierte Abfahrt bis in das Anden-Städtlein Andahuaylas bevor, in dem wir uns gleichzeitig einen halben Tag Pause gönnen wollen. Im Laufe des Vormittags beglücken uns zwei besonders freundliche Gespräche mit am Straßenrad getroffenen Familien. Vor allem die Kinder hier sind einfach immer so herzzerreissend – da können die in Europa einfach nicht mithalten. An einem durchschnittlichen Reisetag verliebe ich mich so in 20-30 süße kleine Stöpsel, die vom Straßenrand zuwinken, strahlend "Gingo-Gingo-Grrrringoooo" zurufen, oder sich schüchtern im Türspalt verstecken und von dort neugierig herauslugen. Die Begeisterung beim Grüßen und Winken meinerseits ist meist mindestens ebenso groß. Getrübt ist sie in diesen Tagen nur einmal kurz, nachdem mir in Andahuaylas etwas passiert mit dem ich immer rechnen musste, es aber natürlich im Moment nicht wahr haben will...

 

Auszug aus meinem Tagebuch: ¨… Zurück im Hotel packen wir unser Zeugs. Robertos hintere Felge schaut schlimm aus. Ein paar Speichen sind schon ausgerissen. Hoffentlich schafft er´s so noch bis Ayacucho. Vor dem Hotel letzte Arreglements. Ein Typ zeigt mir einen verbogenen Nagel am Boden und meint, ob wir den verloren hätten. Ich check nicht ganz um was es hier geht. Und dann DIE KATASTROPHE – meine geliebte Kamera ist weg. Geklaut aus der Lenkertasche. Ein fester Fußtritt gegen die Wand. Fast beginne ich loszuheulen. Roberto geht´s nicht viel besser. Er scheint eine Weile fast noch mehr betroffen zu sein als ich. Proforma-Anzeige bei der Polizei. Ich muss mich damit abfinden, dass ich die Kamera nie wieder sehen werde. Zum Glück habe ich vor zwei Tagen den Speicher gewechselt. Ein paar verlorene Fotos, insbesondere jene von den beiden herzlichen Familien gestern, schmerzen trotzdem sehr. Nach scheinbar ewig dauernden Versorgungseinkäufen durch Roberto geht es schweigsam rein in den nächsten Anstieg. Mein Kopf arbeitet. “Es ist nur eine Kamera. Es ist nur eine Kamera. Verdammte Scheiße, wieso musste das passieren!!” Nach 20 km treffen wir ein neun Jahre reisendes Radlerpärchen aus der Schweiz mit einem deutschen Begleiter. Wir erfahren, dass uns entgegen Google Maps, nur noch zwei große Pässe von Ayacucho trennen. Neue Hoffnung auf eine baldige Ankunft entfaltet sich. Und dann durchbreche ich im Pueblo Nueva Esperanza meine Gedankenspiralen und bin einfach wieder glücklich hier zu sein. All die Leute hier sind so freundlich. In der Luft liegt eine magische Stille. Meine Beine marschieren wie eine Maschine und wir finden einen herrlichen Zeltplatz. Das Leben ist schön...

 

Der nächste Tag ist irgendwie, gerade durch den Vorfall in Andahuaylas in seiner Schönheit, besonders intensiv. Mein Vater hat mir wenige Tage davor bei einem Telefonat gesagt, dass ich in jedem Moment sehr dankbar sein soll dafür, was mir in all den Monaten meines Südamerikaprojektes zu Teil wird. Ja, ich denke das bin ich in der Tat! Ich werde in Zukunft sicher wieder etwas vorsichtiger sein beim Ausser-Auge-Lassen meines Rades, aber meine Freude am Gesamten lass ich mir deshalb sicher nicht wegnehmen. So bleibt mir auch das restliche Teilstück nach Ayacucho, wo wir aht Tage nach unserer Abfahrt aus Cusco eintreffen durchwegs positiv in Erinnerung.

In Ayacucho machen wir ein paar Tage wohlverdiente Pause. Mit der Unterkunft landen wir einen Haupttreffer und bereiten uns auf unserer Dachterrasse täglich ein königliches Luxusfrühstück mit Blick über die schönen Dächer der Altstadt zu. Daneben wird eifrig Kontaktpfelge via Internet betrieben, durch die Straßen gebummelt, gut gegessen, gefeiert, entspannt... Ich kaufe mir eine neue Kamera und versuche mit Hilfe eines argentinischen Straßenmusikanten erstmalig die Tonleiter auf meiner Mundharmonika zu erlernen (mit mäßigem Erfolg). Wie immer könnte ich in so einer feinen Stadt viel länger verweilen, doch sowohl Roberto als auch ich müssen schauen nicht ewig hängen zu bleiben um unnötigen Stress auf unseren geplanten Reiserouten zu vermeiden. Also gehts nach drei Tagen wieder weiter gen Norden. Gleich am ersten Abend holen wir das bereits in Ayacucho getroffene polnische Radler-Pärchen Adela und Kris ein und verbringen die Nacht gemeinsam mit ihnen in der Kirche von Huanta. Da wir uns gut verstehen und auch die gleiche weitere Route haben, werden wir die nächsten Tage zu Viert unterwegs sein.

 

Von Huanta aus geht es entlang eines sehr schönen Kaktus-Canyon mit vielen kleinen Auf und Ab´s hoch Richtung Huancayo. Auf dieser Strecke erreiche ich auch den prestigeträchtigen 5000sten Tourkilometer. Ansonsten ist dieser Abschnitt vor allem durch viel Geplaudere und extra ausgedehnte Essenspausen geprägt. Einmal dauert das „Mittagessen“ zum Beispiel satte drei Stunden. Während diesem Stopp schmeissen sich Roberto und ich auch kurz in den von uns verfolgten Rio Mantaro. Das es sich dabei im Prinzip um das Abwasser der beiden stromaufwärts liegenden Städte Huancayo und Huancavelica handelt blenden wir dabei bewusst aus. Ganz gelingt es auf Grund der scheußlichen Müllverschmutzung an beiden Uferseiten allerdings nicht. Auch wenn wir tagtäglich an unzähligen Straßenschildern vorbeifahren, auf denen u.a. darauf hingewiesen wird, dass Abfall nicht in den Straßengraben geworfen werden soll und dass wir unsere Pflanzenwelt beschützen sollen, sieht die Praxis der Müllentsorgung in Peru um nichts besser aus als in Bolivien. Gerade in kleineren Orten ist der nächstbeste Abhang gleichzeitig die kommunale Entsorgungslösung erster Wahl. Abgesehen davon bleibt das Flusstal aber weiterhin recht reizvoll.

Nach vier gemeinsamen Tagen mit unseren polnischen Freunden erreichen wir die Großstadt Huancayo und zwei ausnahmsweise mal eher unspektakuläre Radtage später Tarma, ein kleines Städtlein in Zentralperu, das sich selbstbewußt mit dem Titel “Die Perle der Anden” zu schmücken weiss und in dem ich mich nun gerade befinde. Von hier werde ich heute meine Reise wieder solo fortsetzen. Denn während Roberto wegen einer Behördenangelegenheit nach Lima fahren musste und Adela+Kris hinunter ins tropische Tiefland abzweigten, werde ich die kommende Woche eine einsame Runde in den Bergen einlegen, ehe ich dann noch einen Abstecher ins Amazonasgebiet von Peru mache. Auch wenn ich mich derzeit gerade mal 250 km von meinem Reiseziel Lima entfernt befinde, möchte ich die letzten 1,5 Monate vor meinem Rückflug nach Europa nämlich noch besonders ausgiebig in die Pedale treten. Einerseits für die gute Sache und andererseits um noch möglichst viel von diesem schönen Land kennenlernen zu können. Denn nach meiner durch viele intensive Projektstopps geprägten Zeit in Bolivien bin ich nun in Peru zu guter Letzt so richtig „ins Radreisen“ hineingekommen. Ich lebe nun von Tag zu Tag, erfreue mich an schönen Morgenstimmungen und geniese es am Abend bei gutem Selbstgekochten die vergangenen Stunden Revue passieren zu lassen. Peru hat sich für mich erfreulicherweise zu einer fantastischen Wahl für das Finale meines Projektes als radelnder INTERSOL-Botschafter entwickelt. Ich fühle mich hier pudelwohl und freue mich jetzt schon auf meine letzten Wochen in diesen tollen Land, wo ich jetzt wieder hinaus in die Wildnis ziehen werde. Zusätzlich motiviert bin ich dabei durch mein mittlerweile schon sehr erfreulich angelaufenes Kilometerspendenprogramm für die INTERSOL-Kooperationen in Bolivien!

 

Ein großes, allgemeines DANKE an dieser Stelle für alle bereits eingelangten Spendenzusagen, welche sich derzeit schon auf eine Summe von über 2.500 Euro belaufen!!! Und noch bin ich nicht in Lima…

 

Daniel Sperl, Oktober 2013

Kilometerstand: 5.246 km

Oruro 2013

Es ist schon etwas sonderbares nach 4 Jahren in eine Stadt zurück zu kommen, in der man einst über mehrere Monate hinweg seinen Lebensmittelpunkt hatte. Irgendwie erwartet man, dass sich in all der Zeit wohl einiges geändert habe und hofft gleichzeitig, dass gewisse Dinge so geblieben sind, wie man sie von damals in guter Erinnerung behalten hat. Diese Hoffnung wird einem in Oruro durchaus erfüllt. Als ich am Tag nach meiner Ankunft die ersten Runden durch die Straßen jener Stadt spaziere, in der ich 2009 ein halbes Jahr beim CSO (Complejo Solar Oruro) gearbeitet habe, merke ich sofort – hier ist alles beim Alten geblieben. Nun, eine sehr auffällige Veränderung gibt es allerdings doch. Seit einigen Monaten thront nämlich von weithin sichtbar eine 45 Meter hohe Statue der Virgen del Socavón über der Stadt, womit sich Oruro für knapp 1 Million Euro Errichtungskosten das höchste religiöse Monument Südamerikas geleistet hat… Dies ändert allerdings nichts daran, dass mir hier vom ersten Moment weg alles komplett vertraut vorkommt – die Märkte und Gassen, Art und Weise der Menschen, Gerüche und Geräusche. Irgendwie ein schönes Gefühl…

 

Mein erster Besuch in Oruro gilt selbstverständlich dem CSO (Complejo Solar Oruro). Hier lädt gerade der österreichische Auslandszivildiener Peter nach einjährigem Einsatz zu seinem Abschiedsessen ein. Gemeinsam mit meinem Kurzzeit-Reisebegleiter Lukas lasse ich mir ein sogenanntes “Agridulce” aus Santa Cruz schmecken und überzeuge mich im Anschluss vom erfolgreichen Umzug des CSO in die Räumlichkeiten der technischen Bildungseinrichtung SENTEC (Servicio de Enseñanza Tecnica y Capacitacion), welche durch gut ausgestattete Werkstätten samt allerhand Maschinen wertvolle Infrastruktur fuer den CSO zur Verfügung stellen kann. Noch wichtiger ist aber, dass hier zwischen dem CSO und SENTEC auf partnerschaftlicher Basis kooperiert wird und so ein gegenseitiger Austausch im Bereich solarer Technologien stattfinden kann.

 

Thematisch hat der CSO seit meinem Abschied 2009 seine Linie im wesentlichen beibehalten. Nach wie vor sind die (inzwischen technisch deutlich weiterentwickelte) Solarlampe samt Photovoltaik-Ladepanel, die Solarradios und der Solarkocher (siehe auch Botschafter-Bericht von Juni – “Solarkocher-Evaluierung in Villcapuyo”) die wichtigsten Produkte für den subventionierten Verkauf in den dörflichen Gegenden um Oruro und darüber hinaus. Daneben gibt es immer wieder neue Projekte, die sich rund um das Thema Solarenergie und Umwelt drehen. Derzeit wird zum Beispiel an sogenannten Solardestillatoren zur Wasseraufbereitung gebastelt, welche in jenen umliegenden Gegenden eingesetzt werden sollen, wo das Grundwasser durch verantwortungslosen Bergbau über Jahre hinweg hochgradig verseucht wurde (s.a. weiter unten: Lokalaugenschein Rio Huanuni).

 

Erfreulich in puncto Entwicklung des Complejo Solar Oruro ist auch, dass sich das 2009 gestartete Projekt zum Zusammenbau der Solarpanele vor Ort mittlerweile etabliert hat. Somit ist der Complejo Solar wohl die einzige Institution in Bolivien in der hochwertigen Solarzellen aus europäischer Produktion direkt im Lande zu einem fertigen Produkt weiterverarbeitet werden. Trotzdem wird dem Modell-Projekt CSO durch die lokale Politik unverständlicherweise nach wie vor wenig bis keine Wertschätzung entgegengebracht. So ist es auch nach siebenjährigem Bestehen immer noch nicht gelungen, eine angebrachte finanzielle Unterstützung aus entsprechenden Departaments-Förderprogrammen zu lukrieren. Aber erzwingen lässt sich von Politikern bekanntlich nur selten etwas und da es im Departament Tarija deutlich bessere Voraussetzung für den Erhalt von öffentlichen Geldern im Bereich Umwelt bzw. erneuerbare Energien gibt habe ich meinen dort gut vernetzten Freund Gonzalo Torrez zu einen Besuch nach Oruro eingeladen. Während eines Treffens mit dem Complejo Solar Oruro wird dabei eine Projektidee zur Implementierung von Solarpanelen “Made in Bolivia” für derzeit noch “stromlose” Dörfer in Gonzalo´s Heimat-Departament entwickelt. Vielleicht bekommt der CSO ja dort endlich jene offene Ohren, welche ihm in Oruro bisher verschlossen blieben und kann so durch einen zusätzlichen finanziellen Rückhalt künftig schrittweise in seiner Struktur weiter wachsen.

 

Wer sich noch mehr über die Aktivitäten und Ziele des CSO informieren möchte findet dazu hier weitere Infos.

 

Neben dem Besuch des Complejo Solar Oruro war mir während meines Oruro-Aufenthalts vor allem auch ein Lokalaugenschein der durch den hiesigen Bergbau komplett verseuchten Gegend rund um das Einzugsgebiet des Rio Huanuni von großer Wichtigkeit. Der Hintergrund - in der 50 km südöstlich von Oruro gelegenen Kleinstadt Huanuni befindet sich die größte Zinnmine Südamerikas, in der laut Internetquellen etwa 5% des weltweiten Zinn-Abbaus stattfinden. Diese Mine ist aktuell im Besitz des staatlichen Bergbauunternehmens COMIBOL. Im Oktober 2009 wurde die Regierung nach jahrelangen Verhandlungen und Protesten der Bevölkerung so sehr unter Druck gesetzt, dass für die gesamte betroffene Gegend per oberster Verordnung (Decreto Supremo No. 0335) ein sogenanntes Umweltnotstandsgebiet deklariert wurde. In diesem Dekret werden mehrere konkrete Schritte zur Aufarbeitung der seit Jahrzehnten ignorierten Umweltzerstörung rund um die Zinnmine Huanuni festgelegt, sowie die dafür zuständigen Verantwortlichen - in erster Linie politische Organe und COMIBOL - genannt.

 

Was zunächst wie ein großer Erfolg der Protestorganisierenden und von INTESOL unterstützten Basisorganisation CORIDUP (Coordinadora en defensa de la cuenca del Río Desaguadero, los lagos Uru Uru y Poopó) aussah, hat fast vier Jahre später zu kompletter Ernüchterung unter den Betroffenen geführt. Denn im Prinzip hat sich an der Situation von 2009 nach wie vor nichts geändert. Immer noch fliesen die durch Schwermetalle und Prozess-Säuren hochgradig kontaminierten Minenabwässer unbehandelt direkt in den Rio Huanuni und damit in weiterer Folge in den Lago Poopó. Gemeinsam mit meinem Compañero Gonzalo mache ich mir bei einem Besuch in Huanuni selbst ein Bild von den untragbaren Praktiken der MinenbetreiberInnen. Gonzalo, der als engagierter Umweltaktivist schon viele Schandflecken unserer Gesellschaft gesehen hat verrät mir im Anschluss kopfschüttelnd: “Das ist der katastrophalste Ort den ich in meinem Leben je gesehen habe!”

 

Kein Wunder, dass unter solchen Umständen im etwa 20 km flussabwärtsliegenden Dorf Sora Sora mittlerweile nur noch 13 von ehemals 60 Bauersfamilien leben. Das Grundwasser in dieser Gegend ist für den menschlichen Konsum flächendeckend unbrauchbar geworden und manche Nutzpflanzen, wie z.B. das wertvolle Andengetreide Quinoa überschreiten, die für den Verzehr zulässigen Höchstwerte bei gewissen Schwermetall um das achtfache! Als ich gemeinsam mit CORIDUP an einer Versammlung der Dorfautoritäten von Sora Sora teilnehme erlebe ich mit Freude, dass die Leute hier einmal mehr genug von leeren PolitikerInnen-Versprechungen haben und sich schon demnächst an einem neuerlichen Protestmarsch aller betroffenen Gemeinden bis zum etwa 250 km entfernten Regierungssitz in La Paz beteiligen wollen. Ähnlich die Stimmung in Machacamarca, einem Dorf nahe des Lago Poopó´s, dem zweitgrößten See Boliviens. In diesem ist Fischfang mittlerweile nicht mehr empfehlenswert und wegen aussterbender Bestände auch kaum noch möglich…

 

Auf Grund dieser persönlichen und hautnah erlebten, verehrenden Situation im Bereich des Einzugsgebiets des Rio Huanuni verspreche ich den Leitern von CORIDUP einen Teil meiner erradelten Spenden an diese INTERSOL-Kooperation zu widmen - auf dass der Kampf gegen die skrupellose Minenbetreiber im Departament Oruro weitergeführt und im Fall Huanuni möglicherweise auch durch rechtliche Schritte die längst fällige Umsetzung des Decreto Supremo No. 0335 erzwungen werden kann. Denn unter Vermittlung von Compañero Gonzalo soll demnächst von einem erfahrenen Umweltanwalt eine sogenannte “Acción popular” durchexerziert werden. Diese stützt sich auf bolivianisches Verfassungsrecht - konkret auf den Artikel 33 in dem jeder Person das Recht auf “eine gesunde, geschützte und ausgeglichene Umwelt” zugesprochen wird. Man darf gespannt sein wie sich diese für die seit Jahren übergangenen BewohnerInnen von Sora Sora, Machacamarca und all der anderen betroffenen Dörfern der Gegend rechtfertigen lässt…

 

Als letzten wichtigen Punkt meines Oruro-Gastspiels 2013 moechte ich schliesslich noch kurz die Teilnahme an einem Dorfbesuch von ANAPA (Asociacion Nayra Pacha)  erwähnen, während dessen mir die Leiterin Lic. Judith Morales die ersten “Früchte” dieses 2009 von ihr gegründeten Programms mit Schwerpunkt alternativer Bildung in ländlichen Gegenden im Großraum rund um Oruro näher bringt. Eine Verbesserung der Wasserversorgung und die Erprobung kombinierter Kultivierungsformen (ähnlich den Ideen der Permakultur) unter zusätzlicher Einbeziehung lokalen Wissens sind dabei wichtige Faktoren auf welche mit dem Ziel verbesserter, landwirtschaftlicher Produktionsmöglichkeiten im besuchten Puebo Ancocota gesetzt wird. Auch eine Strickgruppe zur alternativen Einkommensgenerierung wird hier seit einiger Zeit fachlich betreut. Die alltäglichen Herausforderungen solcher Basisarbeit werden mir bewusst, als mir nach zweistündiger Diskussion über eine geplante Zurschaustellung der gestrickten Produkte fast die Füße abfrieren und ich zum Aufwärmen eine Runde spazieren gehen muss, während die Mitarbeiterinnen von ANAPA immer noch mit Geduld einen Kompromiss zwischen den etwas uneinigen Strickerinnen zu erzielen versuchen.

 

Mehr zu aktuellen Projekten von ANAPA, die ebenfalls durch INTERSOL unterstützt werden findet sich unter folgendem Link

 

Nach meinen zwei sehr Projektintensiven Wochen in Oruro muss ich nun leider schön langsam beginnen meine letzten Tage in Bolivien zu zählen. Doch bevor ich meine Rückreise nach La Paz und damit meinen Weiterweg nach Peru antrete, organisiert Jhonny, der Leiter des Complejo Solar Oruro noch einen kleinen Pressetermin für den radelnden INTERSOL-Botschafter aus der weiten Ferne. Auf dem Hauptplatz von Oruro, bauen wir einen Solarkocher auf und präsentieren den umstehenden Leuten dieses und weitere Produkte des Complejo Solar Oruro. Gleichzeitig werden den täglich hier anwesenden LokalpressevertreterInnen ein paar kurze Interviews für Zeitung und Fernsehen gegeben. Vielleicht erreicht ja so die von mir transportierte Botschaft “INTERSOL und der Complejo Solar Oruro in Solidarität mit den Orureños” endlich einen politischen Entscheidungsträger mit offenen Ohren…

 

Daniel Sperl, September 2013

Kilometerstand:  3.592 km

From La Paz to Oruro

La Paz mit seinem allgegenwärtigen Mix an Moderne und Tradition kann wohl mit Fug und Recht als DER “Melting Pot” Boliviens bezeichnet werden. Nachdem ich bei meinen Kurzbesuchen während meiner Complejo Solar Oruro Mitarbeit 2009 nie die Zeit dafür hatte mich richtig auf diese lebhafte Stadt samt all ihrer Facetten einzulassen, beschließe ich dies nun während eines 1,5-wöchigen Aufenthalts in Boliviens Regierungssitz nachzuholen.

 

Die Kontraste welche sich dem Beobachter hier an allen Ecken und Enden offenbaren sind wahrlich krass. Neben der durchgestylten Business-Frau in figurbetonten Jeans und Designer-Top bettelt der humpelnde Campesino mit zerfurchtem Gesicht unter seinem traditionellen Poncho um ein paar Bolivianos. Jugendliche StädterInnen mit MP3-Player und moderner, westlicher Kleidung hängen lässig auf sonnigen Parkbänken herum, während die klassisch gekleidete Cholita vom Lande eilig vorbeihuscht, um ihre Einkäufe auf einem der großen Märkte der Stadt zu erledigen.

Auch in der Architektur setzen sich diese Kontraste fort. Prunkbauten im Zentrum gegenüber unverputzten Ziegelhütten in der Peripherie. Langsam verfallende, kolloniale Wohnhäuser mit vor sich hin blöckelnder Fasade gegenüber rasend aus dem Boden schiessenden, modernen Hochhäusern aus Glas und Stahl. Ich selbst verbringe meine Zeit in La Paz in der sogenannten Casa de Ciclistas, wo der Besitzer Cristian Radreisenden wie mir einen Ort des Zusammentreffens und gemeinsamen Wohnens anbietet. Nachdem ich in meinen bisherigen 4 Monaten als radelnder INTERSOL-Botschafter fast keinen Kontakt mit anderen TourenfahrerInnen hatte tut es richtig gut sich hier mal mit unzähligen anderen Gleichgesinnten austauschen zu können.

Mit einigen der in der “CdC” zeitgleich zwischengelandeten RadlerInnen aus aller Welt (GER, NZ, COL, RSA, CH, IRL, CAN) verstehe ich mich auf Anhieb richtig gut und so werden schließlich auch diverse Pläne für künftige, gemeinsame Reiseabschnitte geschmiedet. Ganz konkret wird einer dieser Pläne mit dem sympathischen, schwäbischen Obstjungbauer Lukas. Er ist auf dem Weg von Mexiko zu seinem Onkel im argentinischen Nordpatagonien und wird mich die kommenden 3 Tage nach Oruro begleiten. So heißt es also fürs Erste Abschied nehmen von La Paz und der Casa de Ciclistas. In 2 Wochen komme ich nochmal hierher zurück, doch nun geht es erst mal hinaus in die Weiten des bolivianischen Altiplanos. Die ersten beiden Tage weichen wir der stark befahrenen Hauptverkehrsroute nach Oruro noch auf schönen Hinterlandstraßen aus und erfreuen uns dabei an zwei einsamen Zeltplätzen und ich mich ausserdem an der Gitarrenmusik von Lukas. Auch die selten so durchgängig erlebte Herzlichkeit der Campesinos am Wegesrand beglückt unser Gemüt auf diesen Wegen. Leider ergeben sich aber gerade hier im Einzugsgebiet des Complejo Solar Oruros deutlich weniger Gespräche bezüglich meines mitgeführten Solarpanels und dem damit verbundenen Projekt, als ich es von anderen Gegenden meiner Reise gewohnt war. Offenbar hat die Elektrifizierungskampane der Regierung im Hochland die Nachfrage nach ökologischen Solarprodukten etwas reduziert.

 

Tag 3 meiner gemeinsamen Reise mit LukiLuk lässt uns so wie am Vortag zunächst noch auf Schotterpiste arbeiten. Dann treffen wir in Patacamaya auf die scheuslich stark befahrene Ruta 1 Boliviens, welche La Paz mit Oruro verbindet. Nun kommt mir die Rennradfahrervergangenheit meines Zugpferdes Luki zu Gute und ich lasse mich über weite Strecken der tendenziell flachen Route im Windschatten von ihm Richtung Oruro peitschen. So stehen am Ende des Tages sensationelle 159 Kilometer auf meinem Tacho, was den mit Abstand erfolgreichsten Tag meiner bisherigen Tour in Hinblick auf mein Kilometerspendenprogramm bedeutet. Im Namen der INTERSOL-Kooperationen in Bolivien sage ich dafür: “DANKE LUKI!!!”

Daniel Sperl, 26. August 2013

Kilometerstand:  3.592 km

Zu Gast bei El Ceibo

Motiviert durch die Tatsache nach fast 2 Wochen endlich mal wieder mehr als nur einen einzigen Tag auf dem Rad vor mir zu haben, starte ich von San Ignacio de Mojos sehr zeitig in der Früh und werde dadurch zumindest auf den ersten Fahrkilometern von der schwülen Tieflandhitze dieser Gegend verschont. Irgendwie ist meine Weiterfahrt diesmal auch ein Spiel gegen die Zeit, denn für die nächsten Tage ist die Ankunft eines Surazo´s, dem für diese Jahreszeit typischen Südwind angekündigt. Dieser lässt die Temperaturen mit regnerischer Unterstützung über weite Landstriche hinweg binnen nur weniger Stunden um bis zu 20 Grad absacken. Es geht also im eifrigen Tritt wieder hinaus in die flacher Pampa von Beni, die mich sowohl landschaftlich als auch durch ihre bunte Vogelwelt direkt am Strassenrand weiterhin durchwegs positiv überrascht.

 

2 Tage und 175 Kilometer lang geht meine Flucht vor dem gefürchteten Surazo gut, dann holt er mich über Nacht aber doch ein und sorgt am nächsten Morgen für wortwörtlich getrübte Aufbruchsfreuden. Irgendwann überwinde ich mich doch, mache aber nach gerade mal 25 Kilometern wieder Dienstschluss. Die Befürchtungen bezüglich Schlammpiste haben sich bewahrheitet und mein Rad hat für diesen Tag genug gelitten. Ausserdem fühle ich mich etwas kränklich. Ich befinde mich nun in der Ortschaft Yucumo, wo am 25.09.2011 das traurige Attentat auf den 8. “Marcha indígena del TIPNIS” stattfand (s.a. vorhergehender Botschafter-Bericht).

 

Am nächsten Tag erst Aufbruch zur Mittagszeit. Es ist kalt, nieselt immerzu so vor sich hin, die Piste ist um nichts besser als tags zuvor und erstmals seit Ewigkeiten habe ich nun auch wieder Hügellandschaft im Visir. 35 Kilometer, noch mehr Schlamm auf Fahrrad und Kleidung als am Vortag und ein völlig entkräfteter Radfahrer mit veritablem Durchfall sind das Resultat dieser Etappe. Trotzdem, es muss weitergehen. Die Aussicht auf eine ordentliche Unterkunft in Sapecho und damit verbunden mehrere radfreie Tage sind Motivation genug, um trotz körperlicher Angeschlagenheit nochmals alle Kräfte zu mobilisieren und mich einen dritten Tag in Folge hinaus in die Schlacht mit dem Schlamm zu stürzen. Meine Ambitionen werden belohnt – der Pistenzustand bessert sich nach Überwindung eines kleinen Passes auf halber Strecke merklich und spätestens ab der Ortschaft Delicias, wo mich sowohl Kinder als auch Erwachsene in kollektiver Freundlichkeit empfangen, ist das Strahlen der fehlenden Sonne zurück auf meinen Lippen. Im letzten Tageslicht erreiche ich Sapecho. Hier werde ich in den naechsten Tagen auf Anregung der ARGE Weltläden Österreich und in Kooperation mit der EZA Fairer Handel die Kakao-Genossenschaft “El Ceibo” besuchen.

 

Gleich am nächsten Tag schaue ich also hinüber zum regionalen El Ceibo-Oficina und bekomme schon am Nachmittag eine erste Führung durch das Gelände samt zentralem Zwischenlager. Hier werden die Kakaobohnen aller in die Genossenschaft eingebundenen ProduzentInnen aus der Region Alto Beni übernommen, nötigenfalls fermentiert sowie getrocknet und letztlich für den Transport zur Kakao- & Schokoladenfabrik in El Alto zwischengelagert. Da ich mit dem Ziel angetreten bin sämtliche Schritte von der Ernte der Kakaofrüchte bis zur Herstellung einer organischen Edel-Schokolade bzw. zum Export von zertifizierten Kakaobohnen für die “Fair Trade”-Schokolade in meinem heimischen Süßigkeitenkasten kennenzulernen, lasse ich mich im Lager selbstverständlich auch gleichmal für 2 Stunden zum Verkarren der transportfertigen Kakao-Säcke einteilen. Auch so lässt sich im Gespräch mit zwei wortwörtlich sehr gemütlichen Lagerarbeitern das eine oder andere Detail über die gelebte Praxis in der “Familie” El Ceibo erfahren: “Der Arbeitsplatz hier ist gut und El Ceibo zahlt immer verlässlich.”, erklärt mir einer der Mitarbeiter. Mit ca. 2.000 Bolivianos (= rd. 220 Euro) im Monat verdient die Lagermannschaft immerhin deutlich mehr als das gesetztliche Mindestgehalt von 1200 Bolivianos (= rd. 130 Euro) pro Monat. Dazu sollte man auch wissen, dass in der bolivianischen Realität viele Menschen mit noch deutlich weniger Einkommen ihr Leben bestreiten (u.a. die von MUSOL betreuten Guardarias am Cerro Rico in Potosí, welche im Schnitt von ungefähr der Hälfte des gesetzlichen Mindestgehalts ein Auskommen finden müssen).

 

Dass es bei El Ceibo keine geheimen Machenschaften vor internationalen Beobachtern zu verstecken gibt, wird mir erst recht am nächsten Tag deutlich als ich doch ziemlich überraschend in die 3x im Jahr stattfindende Generalversammlung mit VertreterInnen aller 50 ProduzentInnen-Genossenschaften eingeladen werde. Man stelle sich mal einen bolivianischen Radfahrer vor der in schmutzigen Klamotten an einer derartigen Generalversammlung in Österreich teilnehmen möchte… Im Anschluss an meine kurze Zuhörerschaft bei der Generalversammlung, während derer den ProduzentInnen die erfreuliche Entwicklung der Verkaufszahlen von 2012 präsentiert wird, bekomme ich eine Führung durch die Kakao-Baumschule von El Ceibo. Hier werden ca. 50 verschiedene Kakaosorten (die ertragreichsten lokalen Sorten, sowie spezielle Sorten aus Peru, Ecuador, Kolumbien, etc.) gepflegt und konserviert. Dieser bemerkenswerte Genpool ist die Basis für die Züchtung von Jungpflanzen, welche den ProduzentInnen im Bedarfsfall zur Erneuerung und Ertragssteigerung ihrer Plantagen angeboten werden.

 

Nach einem ausnahmsweise komplett dienstfreien Wochenende, welches ich zur Regeneration von den Folgen der kürzlich zuvor durchstandenen Schlammschlacht nutze, folgt der für mich interessanteste Teil meines Sapecho-Aufenthaltes - eine 5-tägige Mitarbeit auf der Kakao-Plantage der ProduzentInnenfamilie von Martin Meza. Diese wird so wie praktisch alle derartigen Plantagen hier durch eine vernünftige Ergänzung mit der Produktion von Bananen und Zitrusfruechten wirtschaftlich abgesichert. Somit komme ich während meiner Zeit bei Don Martin nicht nur in den Genuss der Kakao-Ernte, sondern darf auch schweißüberflossen einige Scheibtruhen mit Bananen und Mandarinen aus seinem 12 Hektar grossen “Dschungelgrundstück” herauskarren. Dschungel schreibe ich deshalb, weil hier zwischen den fruchttragenden Bäumen im Sinne agroforestaler Denkweise auch unzählige andere tropische Bäume ihren Platz und ihre Daseins-Berechtigung gefunden haben. Auch El Ceibo fördert derartige Bewirtschaftungs-Systeme unter seinen ProduzentInnen und zieht dafür auf einem kleinen Terrain verschiedenste Baumsorten groß, welche in späterer Folge diverse Funktionen innerhalb einer Kakaoplantage übernehmen können (z.B. Schattenspender, Wasserzieher, Nutzholzgeber, etc.).

 

Von Dschungel ist auf dem Grundstueck von Familie Meza aber auch deshalb zu sprechen, weil wegen eines unfallbedingten, fast 2-jährigen Arbeitsausfalls von Don Martin die aufwendige Betreuung der Kakaopflanzen zuletzt deutlich auf der Strecke geblieben ist. So wende ich 2 schweißtreibende Tage dafür auf einen kleinen Bereich der Kakaoplantage per Machete von meterhohem Gestrüpp zu befreien. In weiterer Folge haben Martin und sein jüngster Sohn Limber geplant großangelegte Baumschnittarbeiten durchzuführen, sowie durch Pfropftechnik neue Kakaosorten zu pflanzen, um so den derzeit überhand gewinnenden Kakao-Krankheiten Herr zu werden und letztlich den Ernteertrag wieder zurück auf ein wirtschaftlich akzeptables Niveau zu bringen. Ich hoffe, dass Familie Meza dieses Vorhaben gelingt und vor allem, dass sich Sohn Limber nach seinem Agronomie-Studium nicht wie so viele andere Jugendliche der Gegend für eine Büroarbeit in der Stadt entschließt, sondern das von seinem Vater in den 60er-Jahren müevoll kultivierte Grundstück übernimmt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der 20-jährige Limber in diese Aufgabe hineinwachsen wird und schenke ihm zum Abschied mein 5 Tage lang getragenes Arbeitsleibchen, womit ich ihm symbolisch den vereinten Geruch von Schweiß und Freude der organischen Kakaoproduktion hinterlasse…

 

Nach 9 Tagen im schönen Alto Beni geht es für mich wieder zurück auf die Straßen die meine Welt bedeuten. Mit der tropischen Gemütlichkeit der letzten Wochen ist es nun leider vorbei, stehen mir und meinem 60 kg schweren Pazifikfrachter doch die Fahrt vom gerade mal 450 Meter hoch gelegenen Sapecho über den 4670 Meter hohen Pass “La Cumbre” nach La Paz bevor. Zunächst heißt es binnen 2 nicht zu unterschätzenden, vorandinen Hügeletappen in das paradisische Städtlein Coroico hochzukurbeln. Die Verwendung einer Staubmaske wäre hierbei aus Gründen des Arbeiterschutzes entsprechend internationalen RadlerInnenrichtlinien sicher angebracht gewesen. Denn der immer näher kommende bolivianische Regierungssitz La Paz machte sich nun auch bereits in deutlich gesteigertem Verkehrsaufkommen bemerkbar. Eine schlechte Kombination in Verbindung mit pulvertrockenen Erdpisten. Doch der landschaftliche Reiz der hier beginnenden Yungas-Region lässt mich über derartige Unannehmlichkeiten hinwegsehen.

 

In Coroico gönne ich mir nochmal einen Ruhetag. Die technischen Daten der noch bevorstehenden Strecke bis zum Pass La Cumbre sind zu beeindruckend, um sich dabei einen Schwächeeinbruch leisten zu wollen. Auf gut 60 km sind im praktisch durchgehenden Anstieg 3.500 Höhenmeter zu überwinden, die Hälfte davon ohne Asphalt. Bei diesem ersten Abschnitt mit gut gepresster Erdpiste handelt es sich um den sogenannten “Camino de la Muerte”, welcher einst als gefährlichste Straße der Welt gehandelt wurde. Unzählige Totenkreuze zwischen Wegesrand und den teils hunderte Meter nach unten schießenden “Böschungen” zeugen leider immer noch von den hier vorgefallenen Tragödien. Heutzutage wird diese Route vor allem noch von unzähligen Touristen-BikerInnen befahren, ausschließlich in Abwärtsrichtung natürlich. 165 Stück entgegenkommende RadlerInnen zähle ich am ersten Tag meiner Auffahrt – ein durchaus interessantes Schauspiel, das nach 2 Stunden auch wieder vorbei ist. Den zweiten Tag beginne ich bereits auf der neuen Asphaltstrecke und komme hier der magischen 4000-Meter-Marke immer näher. Inzwischen bin ich also tatsächlich zurück in den hohen Anden, wo der Schnee bereits von oben auf mich herab leuchtet. Meine Energien werden dadurch aber auch nicht mehr beflügelt. Ich hoffe nur noch den höchsten Punkt so bald als möglich zu überwinden und bin völlig überwältigt, als ich diesen endlich erreiche. Nach ausgibigem Genuss der beeindruckenden Bergkulisse rund um mich, hab ich mir schließlich die 1000 Höhenmeter lange Abfahrt nach La Paz verdient. Diese ist rasend und voll Vorfreude auf das Eintauchen ins Leben dieser bunten Millionen-Metropole in ihrem einzigartigen Kessel unterhalb den endlosen Weiten des bolivianischen Altiplanos...

 

 

Doch noch bevor ich wirklich beginne diese Stadt in vollen Zügen aufzusaugen, erledige gleich noch den nächsten Punkt auf meinem Dienstplan als kurzfristig “übergelaufener” “ARGE Weltläden Österreich”-Botschafter – den Besuch des Hauptsitzes von El Ceibo samt Schokoladenfabrik in El Alto. Hier erklärt mir mein Ansprechpartner Don Bernardo auch noch einige Hintergrunddetails zum Thema “Fair Trade” bei El Ceibo. Im Prinzip sei es für El Ceibo eine sehr einfache Sache gewesen sich in den 90er-Jahren fuer diese Zertifizierung zu entscheiden, da sowohl die organische Produktion, als auch viele Anforderungen des fairen Handels bereits seit jeher in der Genossenschafts-Philosophie von El Ceibo verankert gewesen waren. So hat der durch Fair Trade garantierte Kakao-Mindestpreis samt zusätzlichen Sonderprämie einst viel zum wirtschaftlichen Vorwärtskommen von El Ceibo beigetragen. In den letzten Jahren hat der bolivienische Kakaomarkt allerdings einen interessanten Wandel erfahren. Denn durch einen der aktuellen Regierung von President Morales anzurechnenden wirtschaftlichen Aufschwung ist die landesweite Nachfrage nach Kakao und Schokolade deutlich gestiegen und kann derzeit durch die geringe nationale Produktion (El Ceibo ist dabei die landesweit gröeßte Produzentenvereinigung) nicht mehr abgedeckt werden. Die daraus resultierende Wertsteigerung der Kakaobohne hat dazu geführt, dass der Handelspreis für bolivianischen Kakao derzeit deutlich über dem internationale Niveau liegt. Und das selbst dann, wenn man noch die Prämien für fairen Handel und organische Produktion dazurechnet. Einzelne Fair Trade HandelspartnerInnen haben auf diese spezielle Situation reagiert und zahlen daher aktuell mehr, als es die allgemeinen Vereinbarungen vorsehen würden. Denoch macht es für El Ceibo derzeit wirtschaftlich keinen Sinn mit dem Kakao in den Export zu gehen, so lange sich die Wertschöpfung aus der Fabrikation von fertigen Produkten für den heimischen Markt so günstig darstellt. Da sich Don Bernardo aber durchaus bewußt ist, dass sich die aktuelle Situation jederzeit wieder ändern kann, versucht er die Kakaoabgabe an seine Fair Trade-HandelspartnerInnen so gut als möglich aufrecht zu erhalten. El Ceibo will die langjährigen guten, internationalen Beziehungen eben mit Weitblick fortsetzen. Man hat in der Vergangenheit wirtschaftlich davon profitiert - nun heißt es halt einmal die inmaterialen Werte dieser Kolaborationen zu schätzen...

 

Abschließend hier noch ein kurzer allgemeiner Überblick über die Kakao-Genossenschaft El Ceibo, sowie meine persönlichen Schlussfolgerungen aus den gewonnenen Eindrücken meines Gastspiels in Sapecho und El Alto…

 

El Ceibo wurde 1977 als Dach-Genossenschaft mehrerer Kakao-Produzenten-Genossenschaften in der seit den frühen 60-er-Jahren vom bolivianischen Hochland aus kollonialisierten Region Alto Beni gegründet. Inzwischen sind es 50 solcher ProduzentInnen-Genossenschaften in denen insgesamt rund 1400 KleinproduzentInnen vereinigt sind, welche gleichzeitig die Basis der El Ceibo-Familie formen. Darüber steht als Dach-Genossenschaft “Agroindustrias El Ceibo Ltda.” welche den Großteil der mit der Kakao- und Schokoladenproduktion verbundenen wirtschaftlichen Aktivitäten abwickelt. Erst nach dem Verkauf der von Alto Beni in die moderne Fabrik in El Alto transportierten Kakaobohnen, wo u.a. auch die Veredelung zu fertigen Schokoladenprodukten stattfindet, werden diese aus den Händen der “El Ceibo”-Familie gegeben. So wird gerade im wachsenden inländischen Markt praktisch die gesamte Wertschöpfungskette innerhalb der Genossenschaft behalten, was entsprechend den rechtlichen Prinzipien wiederum allen 1400 Produzenten in und um Sapecho zu Gute kommt. Für mich durchaus nachvollziehbar erlaubt sich El Ceibo seit kurzem ihre “Andean Royal Quinoa & Uyuni Salt - Fine Dark Chocolate” mit 75% organischem Kakaoanteil als “The first (Anm.: chocolat) brand in the world without middleman” zu titulieren.

 

Neben “Agroindustrias El Ceibo Ltda.” gibt es in Sapecho auch noch “PIAF El Ceibo” - die formell ausgelagerte Stiftung für nachhaltige Entwicklung, welche die technischen und sozialen Aufgaben innerhalb der Genossenschaft abwickelt. Technische Assistenz für die ProduzentInnen sowie Ausbildungskurse zur Qualitätsverbesserung, Massnahmen zur Produktivitätssteigerung, die Implementierung agroforestaler Systeme und natürlich auch die Sicherstellung der Einhaltung von Auflagen der vorhandenen Fair Trade- und Bio-Zertifizierungen sind wesentliche Aufgaben dieser Stiftung. Seit 2 Jahren kommt auch die Unterstützung der Produzenten im Kampf gegen einen neue Schimmelpilzkrankheit hinzu, welche nach zuletzt sehr erfolgreichen Wachstumsjahren heuer einen gravierenden Einbruch in der Produktionsmenge zur Folge haben wird.

 

Doch es scheint, als ob man innerhalb der El Ceibo-Familie gewillt ist sich nebst manch anderer auch dieser neuen Herausforderung zu stellen und den erfolgreich bestrittenen Weg der letzten 36 Jahre auch künftig gemeinsam weiterzugehen. Jedenfalls war dies der Gesamteindruck den ich durch all meine Gespräche und Aktivitäten in Sapecho und El Alto gewonnen habe. Klar muss aber ebenso sein, dass auch die Fair Trade-Realität nicht ausschließlich durch rosarote Brillen gesehen werden kann. Natürlich gibt es einzelne ProduzentInnen die mit ihrer wirtschaftlichen Situation als Mitglied von El Ceibo nicht zufrieden sind und vielleicht auch den Nutzen der Produktion unter den strengen Fair Trade-Richtlinien in Frage stellen. Gleichzeitig herrscht derzeit sicherlich ein Mangel an technischer Unterstützung für die von Kakao-Krankheiten geplagten Plantagen und auch scheint es zwischen “Agroindustrias El Ceibo Ltda.” und “PIAF El Ceibo” gewisse kontraproduktive, interne Spannungen zu geben. Doch all diese Probleme scheinen mir durchaus im Rahmen des Akzeptablen zu sein, erst recht wenn man die Produktionskette von El Ceibo den einseitigen Einkaufsstrategien transnationaler “Schokoladenriesen” gegenüberstellt, welche sich ohne technische oder soziale Gegenleistungen rein an einem unfairen Weltmarktpreis orientieren und dabei auch das Übel ausbeuterischer Kinderarbeit in Kauf nehmen. Im Internet finden sind viele Berichte und Dokus zu diesem traurigen Thema.

 

In Summe waren meine Eindrücke von der El Ceibo Familie also durchwegs positiv behaftet und so werde ich auch künftig in der Heimat als Marktschreier für Fair Trade Schokolade in den Kampf ziehen - insbesondere natürlich für Produkte die Kakao von El Ceibo beinhalten. Diese werden in Oesterreich derzeit über die EZA Fairer Handel u.a. in den Weltläden, oder auch in diversen Supermärkten vertrieben.

Daniel Sperl, August 2013

Kilometerstand: 3.295 km

Die Umrundung des TIPNIS (Territorio indígena y parque nacional Isiboro-Secure - Indigenes Gebiet und Nationalpark Isibore-Secure)

Am 6. Juli hieß es für mich meine Reise von Cochabamba aus wieder fortzusetzen. Dabei stand gleichzeitig fest, dass ich nun längere Zeit keine Berge mehr um mich haben würde, denn es stand ein langer Abstecher in die tropischen Tieflandregionen Boliviens bevor. Nach Erklimmung eines letzten 3700 Meter hohen Passes durfte ich mich nicht gering darüber freuen, dass mir von hier weg ein über 100 km langer, fast durchgehend abwärtsfallender Asphaltwahnsinn bis in die auf nur noch 200 Meter über dem Meer gelegene Chapare-Region des Departamentos Cochabamba bevorstand. Unzählige schwere LKWs mühen sich auf dieser Strecke tagtäglich im Schneckentempo zwischen den beiden wichtigen nationalen Wirtschaftszentren Cochabamba und Santa Cruz motorbremsend hinab sowie abgasschleudernd hinauf. Deutlich weniger Mühe habe ich auf diesem Abschnitt, kann ich doch die Schwerkraft wunderbar in meinem Sinne nutzen und so binnen nur weniger Stunden eine faszinierende Vielfalt an prachtvollen Vegetationsstufen durchqueren.

 

Angekommen im beliebten tropischen Touristendörfchen Villa Tunari erkundige ich mich auch nochmal vor Ort bezüglich der aktuellen Situation im nahegelegenen TIPNIS-Gebiet, welches ich aus meinem amateur-journalistischem Reisereporter-Interesse heraus sehr gerne persönlich besuchen möchte. Die indigene Bevölkerung des TIPNIS (Territorio indígena y parque nacional Isiboro-Secure) sieht sich schon seit Jahren mit den immer weiter in ihr Territorium eindringenden Coca-BäuerInnen und dem damit verbundene Problem der illegalen Kokain-Produktion in versteckten Dschungel-“Fabriken” konfroniert. Hinzu kam in den letzten Jahren der einseitige Beschluss der Regierung, das Territorium, welches von Experten als grüne Lunge Boliviens bezeichnet wird mit einer großen Fernverbindungsstrasse zu durchschneiden. Leider muss ich mein Vorhaben eines Lokalaugenscheins aber vorerst aufschieben, da mir eine unbegleitete Durchquerung der hier angrenzenden Cocalero-Gegenden für meine persönliche Sicherheit zu riskant erscheint. Vielleicht soll mir ja noch später von der etwas weniger konfliktreichen Nordseite des Territoriums aus etwas gelingen...

 

So geht es also zunächst weiter auf der Hauptstrasse Richtung Santa Cruz wo mich durch einen Wettersturz erstmalig auf der Tour ein WASCHECHTER Regentag heimsucht. Auch das gehört dazu und als ich am Abend im verträumten Dörflein Puerto Villarroel eintreffe, ist mit zurückkehrenden Sonnenstrahlen die Welt bereits wieder in Ordnung. Von hier will ich mich auf Tipp von anderen Reisenden mit einem Boot bis nach Trinidad, der Hauptstadt des Departamentos Beni durchschlagen. Nachdem sich mit den derzeit nur wenigen vorhandenen Frachtkuttern und Fischerbooten leider nichts arrangieren lässt, beschließe ich nach 2 Tagen zusammen mit dem oberösterreichischen Pärrchen Markus und Maria ein kleines Privatboot anzuheuern. Die beiden hatten zufällig das gleichen Reisevorhaben wie ich und so lassen wir uns von Captain Freddy binnen 2,5 Tagen durch ein wildromantisches Dschungelparadis bis zur Ansiedelung La Boca Chapare chauffieren. Abgesehen von den Millionen Mosquitos die uns jeden Abend und Morgen das Leben schwer machen, lässt diese Reise vorbei an saftig grünen Urwaldriesen, unzählbar vielen prächtigen Vögeln und karibikweissen Traumstränden kaum zu wünschen übrig. Auf eben diesen Stränden wird abends Lagerfeuer gemacht und über Nacht campiert.

 

Bei Ankunft in La Boca Chapare eine filmreife Szene, als zeitgleich mit unserem Anlegen auch ein Bananenkutter aus einer Kurve des hier einmündenden Rio Chapares auftaucht. Im fliegenden Wechsel schmeißen wir unser Zeug von Captain Freddy´s Boot auf den Bug dieser rettenden Erscheinung und sind uns gleichzeitig fast gewiss, dass wir damit den wohl einzigen möglichen Weitertransport des heutigen Tages erwischt haben. So folgen noch gut 24 Stunden Flussreise samt Sichtung der weltweit einzigartigen Süßwasserdelfine der bolivianischen Amazonasregion und schließlich ein fast fünfstündiger Pick-Up-Transport bis wir schließlich zu mitternächtlicher Stunde unsere viertägige Reise nach Trinidad beendet haben. Ich glaube wenn ich irgendwann mein Rad an den Nagel hängen sollte, werde ich auch Bootsfahrer. Den Familienvater vom Bananenkutter scheint sein Leben auf Wasser jedenfalls derartig zu erfüllen, dass er sich gar nicht vorstellen kann eines Tages etwas anderes zu machen. Auch sein Haufen an herzigen Kinder strahlt beim abendlichen Sandspielen am Strand nur so voll Glückseeligkeit. Er und seine Familie leben ein sehr einfaches aber offenbar zufriedenes Leben...

 

Nach zwei feinen Tagen in der gemütlichen “Moto-Ciudad” Trinidad, heißt es für mich einerseits Abschied zu nehmen von meinen beiden freundlichen Reisebegleitern Markus und Maria und andererseits mal wieder Kilometer abzuspulen. Dies gelingt auf der komplett topfebenen Piste nach San Ignacio de Mojos auch ausgezeichnet. Fast 100 Kilometer lege ich durch wesentlich interessanter als befürchtete Pampalandschaft zurück, bis ich zum Sonnenuntergang mit staubig-verschwitztem Körper in diesem netten Ministädchen eintreffe. Und damit steht schon wieder der nächste Radfahrstopp auf dem Programm. Denn mit Hilfe der INTERSOL-Kontakte zu CIPCA (Centro de Investigación y Promoción del Campesinado) werde ich bei der hier angesiedelten Regionalstelle vorstellig und informiere mich nochmal über einen möglichen Besuch des TIPNIS von hier aus. Doch leider muss ich bei all meinen bisherigen Erkundigungen wohl etwas falsch verstanden haben, denn von San Ignacio de Mojos aus kann man sich nur über kaum befahrbare Wege in die von mir so gerne besuchte Gegend durchschlagen und selbst das kann durch jederzeit möglichen Regen binnen Stunden zum kompletten Scheitern verurteilt werden. Offensichtlich hätte ich einzig von Trinidad aus über den Wasserweg eine zumutbare Möglichkeit für den angestrebten Lokalaugenschein in einigen Ansiedelungen des TIPNIS gehabt und mir so ein noch klareres Bild von der tatsaechlichen Situation vor Ort machen können. Aber jetzt nocheinmal zurueck nach Trinidad und von dort in wiederum mehrern Tagen flussaufwärts in das TIPNIS-Gebiet zu fahren ist nun zeitlich einfach nicht mehr drinnen. Durch typisch bolivianische Gastfreundschaft werde ich aber als “Ersatzprogramm” zumindest zu einem Dorfbesuch von CIPCA eingeladen. Dabei geht es um die Abklärung einiger Formalitäten bezüglich der vor knapp 2 Jahren hier gegründeten Vereinigung zum Aufbau einer lokalen Kakao- und Schokoladenproduktion. Für mich ein interessanter Einstieg für meinen bevorstehenden Besuch bei der größten bolivianische Kakao-Produzenten-Vereinigung El Ceibo in Sapecho. Und auch so sind mir die 2 Tage die ich letztlich in San Ignacio de Mojos verbringe persönlich sehr wichtig, kann ich doch durch Gespräche mit den Mitarbeiten von CIPCA, Vertretern der Subcentrale TIM (einem weiteren indigenen Territorium der Region) und anderen hier ansässigen Personen zumindest noch einige Stellungnahmen hinsichtlich des Brennpunktthemas TIPNIS aufnehmen. Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung all meiner diesbezüglichen Gedanken…

     

Brennpunkt TIPNIS - Gedanken zu einem global wichtigen Thema in Hinblick des Schutzes von Mutter Natur und der Achtung menschlicher Würde

In den vergangenen drei Monaten seit meiner Ankunft in Bolivien habe ich immer wieder versucht, durch Gespräche mit hier lebenden Menschen Informationen und Sichtweisen zum Thema TIPNIS, sowie der geplanten Durchschneidung dieses Territoriums durch eine Fernverbindungsstrasse in Erfahrung zu bringen. Das Bild welches für mich als Ergebnis all dieser kleinen Puzzelsteine entstanden ist möchte ich hiermit in Form einer kleinen Zusammenfassung weitergeben. Möglicherweise kratze ich damit lediglich an der Oberfläche und sicherlich kann man mir bis zu einem gewissen Grade Subjektivität vorwerfen, aber zumindest habe ich versucht auch den Befürwortern der “Carretera por el TIPNIS” stets ein offenes Ohr zu schenken. Letztlich habe ich in ihren Argumenten auch manches an Nachvollziehbarem gefunden. Fest steht somit auch, dass es für einen Aussenstehenden wie mich fast ein Ding der Unmöglichkeit ist, sich eine definitive und unumstößliche Meinung zu diesem landesweit so enorm polarisierenden Thema zu bilden. Zu viele Behauptungen, Gegenbehauptungen, Lügen und Verleumdungen stehen hierzu im Raum. Und klar gibt es eben auch Gründe die für den Bau der Straße sprechen:

 

Erleichterung der jedenfalls offiziell behauptete Bekämpfung der Cocain-Produktion (obwohl sich die Regierung ironischerweise gleichzeitig massiv für die “braven” unter den Coca-BäuerInnen und die Erweiterung ihrer Anbauflächen einsetzt); Eindämmung der illegalen Tropenholzgewinnung (die den indigenen BewohnerInnen vorgeworfen wird); Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und des Zugangs zu schulischer Ausbildung (obwohl die meisten der Dörfer im TIPNIS kilometerweit von der geplanten Straße entfernt liegen); wirtschaftlicher Aufschwung (auch wenn bei weitem nicht klar ist wer letztlich die Profitträger sein werden); usw.

 

Allein hierbei wird schon klar, dass es in der Angelegenheit viele zu beachtende Aspekte und mehr als nur eine Wahrheit gibt. Und dabei habe ich noch nicht einmal die aus meiner Sicht überwiegenden Gründe die gegen den Strassenbau sprechen erwähnt:

 

Schrittweise Zerstörung eines einzigartigen Naturreservats (Wieso muss in der Politik immer der wirtschaftliche Aufschwung an oberster Stelle stehen?); Flussvergiftungen durch geplante Erdölgewinnungsstätten (Viele behaupten, dass das Thema Erdöl DER Grund dafür ist, weshalb die Regierung keine alternative Routen für die geplante Straße akzeptieren will); Unterwerfung vor den Interessen internationaler (brasilianischer) Unternehmen (Ist es nicht immer das Gleiche?); Verlust alter Kulturformen (FÜR IMMER!!!); etc.). Und vor allem gibt es ueber all dem einen ganz entscheidenden Vorwurf den sich die Regierung gefallen lassen muss: Wieso findet in der Angelegenheit kein verfassungskonformer Prozess statt im Zuge dessen die Rechte der indigenen Bevölkerung respektiert werden und ihnen eine reale Parteistellung im Hinblick auf die Projektausarbeitung zugestanden wird? Wieso ist man nicht bereit auf vorhandene, alternative Vorschläge zur Erreichung der oben erwähnten Ziele einzugehen? Stattdessen müssen die Bewohner des TIPNIS immer wieder mit endlos weiten Protestmärschen nach La Paz versuchen sich eine Stimme zu verschaffen und selbst das wird ihnen nicht immer gewährt. So kam es 25.09.2011 zu einer gewaltsamen Niederschlagung des damaligen “VIII marcha indígena del TIPNIS” mit vier, für internationales Aufsehen sorgenden, Totesfällen unter den friedlichen TeilnehmerInnen.

Sehr treffend erscheint mir daher die Aussage von CIPCA-Mitarbeiter Edgar bei einem längeren Gespräch bezüglich TIPNIS. “Unser President Evo Morales hat im Bezug auf indigene Rechte leider zwei sehr unterschiedliche Gesichter. Ein internationales, das ihn als Kämpfer für die indigene Bevölkerung erscheinen lassen soll und ein nationales, das sich lediglich für die ihm nahestehenden indigenen Bevölkerungsgruppen einsetzt!” Und auch wenn ich im Gegensatz zu anderen von mir sehr geschätzten BolivianerInnen nicht den gesamten von Evo Morales in den letzten Jahren durchgezogenen “Cambio” negativ sehe, so finde ich, dass die aktuelle Regierung in der TIPNIS-Thematik versagt und dadurch viel an Glaubwürdigkeit verloren hat.

 

Unzählige Artikel zum Thema TIPNIS mit einem klaren “NO a la carretera por el TIPNIS“ hat auch die von mir sehr geschätzte Leiterin von Somus Sur, Maria Lohman auf ihrer Homepage veroeffentlicht:

 

Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bei ihr für die freundliche Unterstützung in Hinblick auf meine TIPNIS-Pläne und die zur Verfügung gestellten Hintergrundinformationen bedanken.

 

Enttäuscht über die vielen traurigen Entwicklungen die es in den letzten Jahren rund um das TIPNIS-Gebiet gegeben hat setze ich meine weitere Reise von San Ignacio de Mojos durch das Departament Beni mit eingerollter Wiphala-Fahne fort. Denn gerade hier wird diese als Symbol für eine bei vielen nicht sonderlich beliebte Regierung gesehen und nicht so wie ich es eigentlich verstehen würde, als Solidaridätszeichen für eine vereinigte indigenen Bevölkerung in den Andenstaaten Südamerikas.

 

Daniel Sperl, August 2013

Kilometerstand:  2.745 km

Heimkehr nach Cochabamba

Nach meinem 1-wöchigen Aufenthalt bei Familie Sumiri-Villca hiess es für mich einerseits Lebewohl zu sagen, andererseits wieder ein paar Kilometer zu sammeln. In 6 anstrengenden Tagen kämpfte ich mich durch eine faszinierend rauhe Bergwelt über angeschneite Pässe jenseits der 4000 Meter, schlief unter freiem Himmel in Flusstälern in denen angeblich der Puma seine Runden zieht und traf freundliche Menschen in ihren Ansiedelungen in entlegensten Gegenden. In einem dieser Pueblos erkundige ich mich aus Neugier wie oft denn hier eigentlich Tourenfahrer wie ich durchkommen. Also in etwa einmal alle drei Jahre würde das vorkommen, lautete die Antwort. Ein bischen verstand ich nun warum die Kleinkinder am Straßenrand stets mit schreckerfüllten Augen ins nächstbeste Versteck flüchteten, sobald sie den bärtigen Gringo auf seinem Teufelsgefährt heranrasen sahen...

 

Auch wenn mich die vielen Anstiege auf diesem Teilstück teils hart an die Grenze meiner Leidenswilligkeit brachten, so war die Fahrfreude doch stets um ein Vielfaches größer. Schließlich war mit der eingeschlagenen Route doch die Rückkehr in die mir 2009 so lieb gewonnene 1-Millionen-Stadt Cochabamba verbunden. Jenem Ort an dem ich einst meinen ersten Fußtritt auf bolivianischen Boden setzte und dann während eines 4-wöchigen Sprachschul-Aufenthalts gleich viele wunderbare Menschen kennen und Momente erleben durfte.

 

Wie damals fühlte ich mich auch diesmal unmittelbar mit der Ankunft in den Bann dieser lebhaften Metropole samt ihrem “südamerikanischem” Flair, all den schönen Plätzen und dem wahrlich wohltuenden, milden Klima gezogen. Aus einer geplanten Woche Aufenthalt wurden so letztlich wiedermal fast zwei Wochen. Es gab einfach doch zu viele schöne und interessante Momente hier zu geniesen. So traf ich mich gleich am zweiten Tag nach Ankunft mit meinem ehemaligen Sprachschulprofessor und guten Freund Ronald Patzi. Er zeigte mir wie sich sein nahe Cochabamba gelegenes Heimatdorf Huancarani seit meinem Besuch 2009 weiterentwickelt hat. Es war schön zu sehen was sich in dieser Zeit tatsächlich alles getan hat. Der Bewässerungskanal bei dessen Ausgrabung ich einst einen Tag lang mithelfen konnte sorgt inzwischen für reichliche Ernte auf einem durch örtliche Frauen in Gemeinschaftsarbeit bestellten Gemüsefeld. Auch gibt es seit letztem Jahr ein sehr schön gestaltetes Gemeinschaftszentrum, welches seither das Herz der Tätigkeiten in Huancarani bildet. Hier werden Kinder nach der Schule betreut und können sich Dorfbewohner zum gemeinsamen Kochen treffen. Ein Raum zur Computer-Ausbildung befindet sich ebenso gerade in Einrichtung wie eine kleine Zahnarztpraxis. Gerade dieser Tage werden auch die beiden Werkstaetten für Tischlerei und Metallarbeiten in Betrieb genommen, wo Jugendliche künftige eine freie Möglichkeit zur praktischen Ausbildung in diesen Bereichen erhalten sollen. Gefördert wird dieses Selbsthilfeprojekte massgeblich durch die Stiftung “Pro Huancarani” aus der Schweiz. Ronald und ich könnten sich aber gut vorstellen, dass künftig auch eine Kooperation mit INTERSOL in Form von Vermittlung freiwilliger HelferInnen stattfindet. Mehr zu diesem interessanten Projekt findet sich hier.

 

Persönlich besonders berührt hat mich an diesem Tag auch noch eine Führung durch Ronalds privaten Grossgarten wenige Meter neben dem Gemeinschaftszentrum von Huancarani. Auf den ersten Blick wie ein kleiner Urwald aussehend, hat Ronald hier mit seiner Frau ein wahres Paradies an unterschiedlichsten Bäumen, Sträuchern und Nutzpflanzen großgezogen.

 

Praktisch jede Pflanze hat hier ihren besonderen Mehrwert, ob in Form von Früchten und Gemüse, als Quelle fuer Humus oder biologische Pflanzenschutzmittel, oder als Schattenspender, Bodenbefestiger, etc. Zum Abschluss des Rundgangs muss ich Ronald gestehen: “Amigo, dass was du hier machst, ist genau der Traum den ich in 5 Jahren selber leben möchte!”

 

Einen Tag später durfte ich als Zuhörer an zwei vom IDH (Instituto de Desarollo Humano / SidAccion) begleiteten Schul-Workshops zu den Themen AIDS-Prävention und Sexual-Aufklärung teilnehmen. IDH bildet seit Jahren LehrerInnen von verschiedensten Colegios in Cochabamba dahingegend aus und evaluiert in weiterer Folge laufend die in die pädagogische Praxis umgesetzte Arbeit. Doch nicht die LehrerInnen hielten an diesem Tag entsprechende Vorträge für ihre Alumnos, sondern die etwa 15 bis 17 jährigen SchülerInnen selbst waren es, die in mehreren Kleingruppen verschiedenste Aspekte dieser sonst meist gesellschaftlich tabuisierten Themen präsentierten. Ich war beeindruckt mit welcher Reife es den meisten Jugendlichen gelang ueber Dinge wie Verhütung, Homosexualitaet, oder Pornografie vor ihren Klassenkollegen zu sprechen.

Wer sich mehr über die unzähligen weiteren Aktivitäten von IDH erkundigen möchte, findet auf folgender spanisch-sprachigen Homepage entsprechende Infos dazu

 

INTERSOL vermittelt seit einigen Jahren regelmäßig PraktikantInnen aus dem Bereich der sozialen Arbeit zu IDH. Derzeit befindet sich Marlene Pillwein von der FH Wien hier in Cochabamba, um bei IDH ihr 15-wöchiges Pflichtpraktikum zu absolvieren. Auf diesem Wege möchte ich ihr auch Danke sagen für ihren freundlichen Empfang am Tag meiner Ankunft und die Organisierung meines IDH-Besuchs.

 

 

Ebenfalls letzte Woche stattet ich Maria Lohman, einer langjährigen Compañera von INTERSOL-Direktor Hans Eder einen Besuch in ihrem Büro ab. Maria leitet seit 2005 die insbesondere im Bereich aktueller, politischer Themen sehr engagierte Organisation Somos Sur , welche laut Eigendefinition einen alternativen Raum für Information und Bildung in Cochabamba und Bolivien schaffen möchte. Eine Ehre war es mir, dass mich Maria daraufhin einlud, um in ihrer wöchentlichen Regionalradio-Sendung auf Radio Cepja mit ein paar Gastkommentaren teilzunehmen. Einen Mitschnitt dieser Sendung wird es demnächst ebenfalls hier online geben.

 

 

Neben all den bereits geschilderten besonderen Momenten gab es während meiner Zeit in Cochabamba auch noch viele andere schöne, kleine Begegnungen. So traf ich mich zum Beispiel mit dem Bruder meines Amigos Ronald, der als Biologe gerade das Konzept des von mir im Mai durchfahrenen Naturreservats Sama überarbeitet und dabei eine Implementierung von Solarkochern in den Bergdörfern einarbeiten möchte, um dadurch die kritische Resource Brennholz zu schonen. Ein nochmaliges Treffen in Oruro zusammen mit dem Complejo Solar ist für Anfang August geplant.

 

Weiters konnte ich mich kurz mit der “Müllbeauftragen” der Fundación Swisscontact zusammensetzen, um mich über den Status Quo der Müllentsorgung in Cochabamba im Speziellen und Bolivien im Allgemeinen zu informieren. So bekam ich bestätigt, was mir sofort nach meiner Ankunft hier aufgefallen war. Cochabamba ist die erste Stadt Boliviens, die auf den Straßen flächendeckend Müllkübel für 3 verschiedene Fraktionen (Recycling-Produkte, Bioabfall und Restmüll) installiert hat. In der Praxis werden diese allerdings leider noch mehr als unzureichend korrekt benutzt. Auch bei der seit etwa 3 Jahren beschlossenen, getrennte Müllabfuhr scheint es noch genügend Probleme zu geben, aber immerhin wurde einmal ein Anfang gemacht. Bleibt zu hoffen, dass durch entsprechende Bürgerkampagnen und technische Investitionen schon bald die nächsten, nötigen Schritte für ein verantwortungsvolles Abfallmanagment gesetzt werden.

Denn zumindest im Bereich der Recyclingfraktionen wie PET-Flaschen, Altglas, Papier und Alu gibt es auch bereits erste nationale Recycling-Unternehmen die für das jeweilige Produkt Bares zahlen. Und so entsteht dadurch auch ein neuer Industriezweig. Beim Hinausgehen aus dem Büro treffe ich zufällig Señor Sabino Álvarez. Er hat vor 4 Jahren mit einem Transport-Fahrrad begonnen die genannten Recyclingfraktionen zu sammeln und zu vermarkten. Inzwischen ist er bereits zu einem Kleinunternehmer mit 10 Angestellten avanziert. Welch schöne Erfolgsgeschichte

 

Mit mehr als ausgeruhten Beinen soll meine Reise morgen wieder weitergehen. Es steht die Fahrt in das tropische, bolivianische Tiefland am Programm. Von der ursprünglich geplanten, abenteuerlichen Durchquerung des TIPNIS (Territorio indígena y parque nacional Isiboro-Secure) werde ich nun auf Grund der politischen Brisanz vermutlich doch absehen. Vielleicht gelingt es mir aber über einige in Cochabamba geknüpfte Kontakte in den unwegsamen, aber deutlich ruhigeren Nordwest-Teil dieses Territoriums zu gelangen. Man darf also schon auf meinen nächsten Bericht gespannt sein…

 

 

Daniel Sperl, 04. Juli 2013

Kilometerstand: 2.398 km

Ein zweiter INTERSOL-Botschafter – 1 Woche “Urlaub am Bauernhof” – Solarkocher-Evaluierung

2 radelnde INTERSOL-Botschafter am Weg nach Uncía

Nach meinen beiden eindrucksvollen Wochen in Potosí war die Zeit irgendwie doch reif geworden, um mich wieder einmal “an die Arbeit” zu machen – sprich, mein Rad und ich waren heiß auf die Fortsetzung der Reise. Besonders motiviert war ich auch deshalb, weil ich auf den etwa 250 Kilometern nach Uncía erstmalig in Begleitung eines anderen Radfahrers unterwegs sein sollte. INTERSOL-Mitarbeiter Bernhard Schenkenfelder nahm sich die Zeit, um mit einem ausgeliehenen “Mountainbike” 4 aufregende Tage durch abgelegene Gegenden im Norden des Departamentos Potosí an meiner Seite zu pedalieren.

 

 

Nach feierlichem Abschied durch das gesamte MUSOL-Team und die Kinder aus dem Hort Nuevas Luces hieß es für mich also “Hasta luego Potosí!”. Die ersten 1,5 Tage bzw. 100 km kamen wir noch in den Genuss der asphaltierten Route Richtung Oruro. Danach waren unsere Reifenabdrücke jedoch ausschliesslich nur noch auf bolivianischem Schotter zu suchen. Apropos Reifen - diese musste sich Bernhard vor der Abreise noch dringend erneuern lassen, was den positiven Effekt hatte, dass er immerhin fast 2 volle Tage lang ohne gröbere technische Gebrechen unterwegs war. Nach den ersten 30 Kilometern auf Schotter machte es dann allerdings doch einen lauten Schnaltzer und Bernhard kam mit einem 10 Zentimeter langem Kapitalriss im vorderen Mantel zum Stillstand. Mit aktivierten Stirnlampen mussten wir so noch fast 5 Kilometer in der Finsternis bis in den Ort Macha schieben, wo am nächsten Morgen eine überraschend effektive Generalerneuerung von Berni´s Bereifung stattfinden konnte. Und wenn ich hier schon von technischen Details berichte, so muss generell gesagt werden: “Berni, dass du dich auf diesem Rad mit mir über solch wilde Wege gequält hast verdient großen Respekt. Du bist echt ein wilder Hund!!” Und ich weiß wovon ich hier spreche, gönnte ich mir doch an Tag 2 für knapp 10 Kilometer einen Fahrradtausch. Trotz des deutlich geringeren Gewichts von Bernhards Minimal-Gepäck war ich mehr als froh, als ich schließlich wieder zurück auf meinen trägen, aber eben doch deutlich luxurioeseren Pazifikfrachter durfte.

Tag 3 unserer gemeinsamen Tour war für mich nicht nur auf Grund eines sehr langen Anstiegs in einsamer Bergkulisse eine harte Angelegenheit, sondern auch da ich mich von der Früh weg durch Verdauungsprobleme merklich geschwächt fühlte. Als wir dann gegen Abend auch noch einen Fluss durchwaten mussten und uns dabei gehörig kalte Füße holten war mein Schicksal besiegelt. Nach gerade mal 50 Tageskilometern verliesen mich in der “Notschlafstelle” des Pueblos Tocopalca schlagartig alle Kräfte und ich fiel sofort wie ein Häufchen Elend in einen fiebrigen Dämmerschlaf. Ob es letztlich das Antigripalpulver aus der Apotheke, Mutters homöopathischen Kugerl, oder doch die Ziegenniere auf meine Stirn, samt 1,5 stündiger Betreuung durch einen Naturheiler war(en), die mich am nächsten Morgen wieder fahrtauglich aufwachen liesen weiss ich nicht so genau. Aber die Tatsache, dass wir so an Tag 4 wie geplant bis nach Uncía kamen war fuer mich jedenfalls eine kleine Sensation.

 

Da ich in der Nähe von Uncía im Pueblo Villcapuya die folgende Woche bei einer Bauersfamilie verbringen durfte und Bernhard zurück an seinen Arbeitsplatz bei MUSOL in Potosí musste trennten sich nun also unsere Wege. Und so kann ich nur noch einmal sagen: “DANKE BERNHARD FÜR DIESE 4 TOLLEN GEMEINSAMEN TAGE!!!”

 

Einige schöne Fotos und ein paar spanische Zeilen über unsere Reise aus Bernhards Sicht finden sich HIER.

 

1 Woche bei der Bauersfamilie Sumiri-Villca

Am Tag nach der Verabschiedung von Bernhard fuhr ich in das nahe gelegene Dorf Villcapuyo in dem wir im Jahr 2009 mit dem Complejo Solar Oruro einige unserer Solarkocher verkaufen hatten und wo ich wenig später ein Wochenende mit der Bauersfamilie Sumiri-Villca verbrachte, um meine Affinitaet zum traditionellen, bolivianischen Panflötentanz unter Beweis zu stellen.

 

Der Empfang war herzlich und die Möglichkeit trotz der lediglich vagen Vorankündigung eine ganze Woche bei der Familie wohnen zu können selbstverständlich. Da sich das Weltklima auch hier mit dem europäischen Sommer solidarisch zeigte und sich mit einer für den bolivianische Winter praktisch unvorstellbaren 2-tägigen Regen-Schlechtwetterperiode unbeliebt machte, waren meine Möglichkeiten zum geplanten Mithelfen bei Feldarbeiten zwar etwas reduziert, aber immerhin durfte ich mich 1,5 Tage lang in die Produktion der traditionellen “Gefrier-Kartoffel” (Chuño) einbringen. Dabei werden die im Freien aufgelegten Erdäpfel durch einen sich wiederholenden Prozess von über Nacht gefrieren lassen und unter Tags per Füßen ausquetschen sowie enthäuten letztlich komplett entsaftet und somit für lange Zeit haltbar gemacht.

Ein aufwendiges Verfahren, für das man definitiv auch eine dicke Hornhaut haben sollte. Aber die haben die beiden Familieneltern Marcelo und Hortencia ja zum Glück. Durch das Leben auf ihrem einfachen Hof in etwa 3700 Metern Seehöhe sind sie die Härten ihres Alltags als Campesinos seit jeher gewöhnt. Zwar konnte die Familie seit meinem Besuch vor 4 Jahren durch einen Handy-Glücksspielgewinn des ältesten Sohns ihr Haus merklich vergrößern und einen sehr hilfreichen Traktor, mit dem gleichzeitig unkonfortabelsten Beifahrersitz meines Lebens anschaffen, doch ihre Lebensumstände bleiben weiterhin äußerst simpel. Die Wohnräume klein und luxusfrei. Die “Küche” in der immer wieder auch mal getrocknete Kuhfladen zum Feuer machen herhalten müssen ein entsprechend verrauchtes Kämmerchen in dem gleichzeitig auf winzigen Hockern sitzend gespeist wird. Das Melken der 4 Kühe und das auf die Weide führen von 6 Schafen eine tagtägliche, aber wenig ertragreiche Aufgabe.

 

Ein bischen lässt sich in Gesprächen mit Marcelo so etwas wie Unzufriedenheit über die Gesamtsituation heraushören. Dann aber wird im nächsten Moment auch wieder gemeinsam gelacht, oder einfach die Ruhe und Gemütlichkeit am Land genossen. Letztlich hat sich Marcelo mit seinem Leben als Campesino also doch irgendwie ganz gut arrangiert. Wohl auch deshalb, weil er es versteht das zu schätzen, was er hat…

Für mich war diese Woche bei Marcelo und seiner Familie jedenfalls ein eindrückliches Erlebnis mit all seinen schönen wie auch ernüchternden Aspekten. Und mir bleibt auch hierzu nur noch einmal zu sagen: “DANKE FAMILIE SUMIRI-VILLCA FÜR 7 TAGE ERLEBTE GASTFREUNDSCHAFT!!!”

 

Solarkocher-Evaluierung in Villcapuyo

Am letzten Tag meines Aufenthalts in Villcapuyo nutzte ich noch die Möglichkeit mich mit einigen Familien zu unterhalten, die im Jahre 2009 den Solarkocher des Complejo Solar Oruro bezogen haben. Mit der mir typischen Grundskeptik machte ich mich daran mit ein paar grundlegenden Fragen herauszufinden, wie und ob diese Kocher 4 Jahre nach Einführung noch eingesetzt werden. Dabei stellte sich zu meiner Freude heraus, dass von den 5 befragten Familien 3 nach wie vor sehr zufrieden mit ihrem Kocher sind und er bei sonnigem Wetter regelmäßig eingesetzt wird. Bei einer Familie steht der Kocher auf Grund eines zwischenzeitlichen Umzugs im Abstellkämmerchen, soll aber auf Grund positiver Erfahrungen im ersten Jahr der Anschaffung demnächst wieder reaktiviert werden. Bei der fünften befragten Familie wurde der Kocher leider durch einen Windstoß umgeworfen und dabei so stark beschädigt, dass er nicht mehr weiter verwendet werden kann. Ein paar Schweißarbeiten und die Bereitstellung neuer Reflektorbleche würden aber auch hier Abhilfe schaffen und ebenso eine Reaktivierung des für 3 Jahre mit grosser Zufriedenheit benutzten Kochers ermöglichen.

FOTO: Der Vorzeige-Kocher von Villcapuyo

Folgende Ergebnisse der Evaluierung konnte ich festhalten (berücksichtigt wurden auch die beiden derzeit nicht verwendeten Kochen, für die Dauer ihres Einsatzes):

 

Durchschnittliche Benutzung des Kochers (bei sonnigem Wetter, das es in der Gegend SEHR häufig gibt):

3x die Woche bis täglich

 

Verwendungszwecke:

Kochen von: Kartoffel, Chuño, Kochbananen, Fleisch, Bohnen, etc.; Warmwasser (zum Waschen)

 

Vorteile aus Sicht der Benutzer:

Die Sonnenenergie ist gratis; Brennholz ist rar; Gas kann gespart warden; teilweise ist kein Gas verfuegbar

 

Nachfrage anderer Familien aus Sicht der Benutzer:

Es scheint, dass sich durchaus noch mehr Familien im Dorf für einen Solarkocher interessieren!!!

 

Probleme in der Praxis:

Der teils starke Wind in der Gegend sorgt für Gefahr bei der Benutzung und hat auch schon zu der einen oder anderen Beschädigung von Kochern geführt (Anm.: Eine Familie hat durch geschickte Befestigung an einem Pfosten keinerlei Problem mit dem Wind). Weiters scheint die Reinigung der Reflektorbleche in der Praxis nicht ganz so gut zu funktionieren, was mit fortlaufender Benutzung zu einer Verringerung der Kochleistung fuehrt (Anm.: Auch in diesem Punkt zeigte mir der Señor mit dem Vorzeigekocher, dass hier viel vom persönlichen Nutzungsverhalten abhängt).

 

 

Die Ergebnisse meiner Solarkocher-Evaluierung werde ich bei meinem bevorstehenden Besuch des CSO auf jedem Fall durchdiskutieren und versuchen damit zu einer weiteren Verbesserung, dieses zu meiner Freude langfristig einsetzbaren Solarproduktes beizutragen. Als wichtige Punkte sehe ich eine verstärkte Benutzer-Schulung in Hinblick auf Windsicherung und Reinigung (Referenz: Vorzeigekocher), sowie die Schaffung eines Angebots zum Austausch von (auch einzelnen) beschädigten Reflektorblechen.

 

Kilometerstand: 2085 km

 

 

Daniel Sperl, Juni 2013

 

Als INTERSOL-Botschafter bei MUSOL in Potosi

Das Leben als Radreisender ist nicht immer leicht, soll es auch gar nicht sein, deshalb braucht es aber auch immer wieder seine wohlverdienten Pausen…

 

Nach meinem einwöchigen Aufenthalt in Tarija gönnte ich mir kürzlich also auch in Potosi wieder eine länger Auszeit vom Leben am Drahtesel. So nahm ich mir von 24. Mai bis 6. Juni die Zeit um in das Leben der auf 4000 Metern Seehöhe gelegenen Hauptstadt des südwestlichsten Departements Boliviens einzutauchen. Diese 2 Wochen waren für mich in vieler Hinsicht eine höchst bereichernde und genussvolle Zeit. Ich konnte die Stadt mit ihren charmanten, engen Gassen und den vielen Kolonialbauten bewundern, durfte den Alltag auf den verschiedensten Märkten mit stets zu Scherzen aufgelegten VerkäuferInnen teilen und sogar mal in der Vogelperspektive vom Gipfel des rund 4800 Meter hohen “Hausbergs” Cerro Rico über die Dächer von Potosi bis zu fernen Berg-Horizonten blicken. Auch ausgelassenes Tanzen in einer der hier massenhaft angesiedelten Karaoke-Diskos durfte in so langer Zeit natürlich ebensowenig fehlen, wie ein Besuch der wundervollen Warmwasserlagune Ojo de Inca. Abgerundet wurden viele meiner Tage in Potosi mit einem untypisch gut schmeckenden Kaffee am Plaza Central…

 

Doch bei weitem nicht alle der hier lebenden Menschen dürfen diese genussvollen Seiten ihrer Heimatstadt in derartigem Umfang konsumieren wie meinereins und wohl auch der Grossteil der hier tagtäglich durchziehenden Touristen aus fernen Ländern es sich leisten können. Denn auch wenn man sagt, dass Potosí dank der enormen Silbervorkommen im hier von jedem Winkel aus sichtbaren Sumaj Orcko/Cerro Rico einst reichste Stadt der Welt gewesen sei, so haben die schuftenden Arbeiter im Berg und ihre Angehörigen niemals massgeblich an der Wertschöpfung aus den zu Tage geförderten Erzen partizipiert.

 

Waren es früher die kolonialistischen Herrscher die sich am Werk “ihrer” Sklaven bereicherten, so sind es heute die undurchsichtigen Kanäle internationaler Konzerne in denen sich der Ertrag der hier geleisteten Arbeit fernab seines Ursprungs verliert. Was zurück bleibt sind Tausende bolivianische Männer, Frauen und Kinder, welche in Potosí unter den Folgen dieser ungerechten Verteilung zu leiden haben, ohne wirkliche Aussicht auf eine Verbesserung ihrer Situation. Einen Funken Hoffnung spendet hierbei zumindest die INTERSOL-Kooperation MUSOL (SOLidaridad con las MUjeres), deren Aktivitäten ich in den 2 Wochen meines doch sehr ausgedehnten Zwischenstopp in Potosi näher kennenlernen und auch ein kleines bisschen mitbegleiten durfte.

 

Bei MUSOL ist der Name Programm. Ein kleines, aber sehr engagiertes Team von bolivianischen Angestellten und durch Intersol entsendeten Freiwilligen setzt sich in solidarischer Weise für mehr als fünfhundert Witwen und Frauen von Bergarbeitern, sowie ausgebeutete Arbeiterinnen und ihre Familien in Potosí ein. MUSOL kämpft mit den betroffenen Frauen um eine Veränderung der Strukturen, für die Durchsetzung ihrer Arbeits- und Sozialrechte und gegen die große soziale Ungleichheit. MUSOL bietet Rechtsberatung, psychologische Beratung, Zugang zur Gesundheitsvorsorge, Ausbildung und Alphabetisierung, Einkommensentwicklung, Hilfe bei der Organisationsentwicklung und Kinder- und Jugendförderung im Rahmen von Kinderhorten und Stipendien. Weitere Details zur Arbeit von MUSOL findet sich HIER.

 

Während meines Aufenthalts in Potosí nahm ich mir die Zeit um die beiden Kinderhorte zu besuchen in denen der Nachwuchs der von MUSOL unterstützten Frauen die Möglichkeit einer professionellen Betreuung ausserhalb des üblicherweise halbtägigen Schulaufenthalts bekommt (…so fern sie diese überhaupt besuchen können). Die Kinder und Jugendlichen in beiden Horts sind über jede Minute an geteilter Zeit sehr dankbar und erwiesen sich als hoechst interessierte Zuhörer fuer meine Geschichten aus der weiten Ferne. Als Besonderheit des Kinderhorts „Caracoles“ muss noch erwähnt werden, dass dieser nicht wie der Hort “Nuevas Luces” in der Stadt liegt, sondern hoch oben am Cerro Rico, wo eben auch die Kinder der am Berg arbeitenden Minenbewacherinnen leben müssen. Dass hier unter anderem das Thema Wasserversorgung gar kein Einfaches ist, durfte ich bei meinem Besuch persönlich miterleben. Mit mehreren Hände mussten wir anpacken um dem Tankwagen die Zufahrt bis zu den Toren des Horts zu ermöglichen.

 

Ein weiterer besonderer Moment für mich war die Teilnahme an einer privaten Minenführung mit der von MUSOL betreuten und unter härtesten Bedingungen am Cerro Rico lebenden Minenbewacherinn Lucia. Es war dies die erste vom INTERSOL-Universalgenie Bernhard Schenkenfelder organisierte Test-Führung, um das Potential für ein künftig mögliches, direktes Tourismusangebot durch sogenannte Guardas wie Lucia festzustellen. Alle Teilnehmer waren sich danach einig, dass dieses Projekt definitiv weiterverfolgt werden sollte.

 

Nach zusätzlicher Teilnahme an einer durch eine Agentur angebotenen “offiziellen” Minenfuehrung, sowie durch die Befragung einiger Rucksacktouristen bezüglich ihrer Erwartungen an derartige Führungen konnte ich Bernhard noch ein paar weitere Ideen für dieses Vorhaben mitgeben und ich hoffe, dass sich schon bald ein geeigneter Rahmen findet unter dem dieses völlig neuartige Projekt starten kann.

 

Viele Fotos von der Minenfuehrung mit Lucia findet man auch auf der derzeit im Aufbau befindlichen MUSOL-Homepage

 

Schliesslich hatte ich auch noch das Glück, dass genau in der ersten Woche meines Potosí-Aufenthalts sowohl eine gekürzte Vor-Premiere als auch die öffentliche Uraufführung eines kürzlich fertiggestellten MUSOL-Dokumentarfilms über die Schicksale von 6 Bergarbeiter-Witwen stattfand. Durch die Teilnahme an beiden Terminen durfte ich mich einmal mehr ein kleines Bischen solidarisch mit den von MUSOL betreuten Frauen zeigen und letztlich war genau dies kleine Bischen Solidarität wohl auch das Grösste was ich in so kurzer Zeit hier beitragen konnte. Denn um wirkliche Änderungen der aktuellen Situation bewirken zu leider wohl noch viele jahrelange Kämpfe wie jene von MUSOL nötig sein.

 

 

Nun, vielleicht konnte ich also durch meinen Zeit bei MUSOL der einen oder anderen betroffenen Frau etwas Mut spenden, oder dem einen oder anderen Bergarbeiter-Kind etwas Freude schenken. Auf jeden Fall werde ich aber einen Teil meiner erradelten Euros über INTERSOL genau hier her spenden, in der Hoffnung, dass auch in Bolivien der stete Tropfen den sprichwörtlichen Stein höhlt!!!

Aktueller Kilometerstand:                     1830 km

Bestätigte Kilometerspenden:             23,41 Euro/100 km

Erradelte Unterstützung für Intersol:  428,44 Euro

 

Daniel Sperl, Juni 2013

 

Monat 1 von 7 - Chile, Argentinien, Bolivien

Im Folgenden eine Zusammenfassung meiner privaten Reiseberichte des ersten Monats nach Ankunft in Südamerika. In 3 anstrengenden, aber sehr lohnenden Wochen auf dem Rad kämpfte ich mich durch spektakuläre Landschaften von Antofagasta in Chile, durch den Norden Argentiniens bis nach Tarija in Bolivien…

 

…nach meiner ersten richtigen Reiseübernachtung im Kreise der Corporación Gen durfte ich die darauffolgende Nacht in einer simplen Unterkunft lokaler Carabinieri verbringen und bekam von ihnen auch die Info, dass der von mir insgeheim angepeilte Weg mitten durch die ECHTE Atacama-Wüste durchaus machbar ist und ich mir somit den unattraktiven Umweg auf der Hauptstrasse nach Calama und San Pedro de Atacama sparen kann. Was mir ursprünglich zu bedenken gab, war die Tatsache, dass dies über 200 Kilometer in einem Gebiet ohne jegliche menschliche Ansiedelung und natürliche Wasserquellen bedeuten würde. Und dies - um es nochmal zu betonen - in der trockensten Wüste der Erde!!! Doch die unzähligen Minen in dieser Gegend haben nicht nur einige kritisch zu betrachtende, negative Umweltauswirkungen, sondern für mich zumindest auch den positiven Effekt, dass auf der geplanten Route tagtäglich unzählige LKWs unterwegs sind, von denen man mit Wasserversorgung rechnen durfte. Und so machte ich mich voll Freude mit ca. 9 Liter Wasser und meinem nun wohl auf 60 Kilo angeschwollenen Pazifikfrachter auf den Weg. Es folgen 3 beeindruckende Tage in der Atacama mit Naechten unter freiem Sternenhimmel die sich wohl am Besten durch einen Auszug aus meinem Tagebuch beschreiben lassen:

 

“… es folgt eine weitere, endlose Gerade, ein Linksknick mit leichtem Anstieg und dann der Blick auf die bisher laengste Ebene an deren Horizont offensichtlich doch noch ein längerer Anstieg lauert. Wer, so wie ich derartige Dimensionen nicht gewohnt ist, der muesste daran vermeintlich verzweifeln […] die Landschaft hingegen schafft es trotz ihrer objektiven Trostlosigkeit und der fast vollkommenen Eintönigkeit mich durchwegs zu begeistern. Man muss sich den ganzen Impressionen wohl am Besten so wie ich in vollem Ausmass aussetzen um dies zu verstehen.”

  

Am 3. Tag erreiche ich den auf 2300 Meter gelegenen Salar de Atacama. Den grössten Salzsee Chiles und die derzeit grösste Gewinnungsstätte des in aller Munde befindlichen Leichtmetalls Lithium (Stichwort: Handyakkus etc.). Auf einer Breite von 50 Kilometern quere ich diesen riesigen “See” auf seiner harten Salzkruste. Auf der gegenueberliegenden Seite dann erstmals wieder grüne Pflanzen, Vögel, Schmetterlinge… Die oftmals genannten negativen Auswirkungen der Lithiumgewinnung auf den Grundwasserspiegel in den umliegenden Gegenden konnte ich in Gesprächen mit einzelnen Ansässigen nicht ganz nachvollziehen, wobei es mir leider nicht gelang jemanden aus der lokalen Bauernschaft zu befragen.

  

Weiter ging es nun hinauf zum Paso Sico, dem Grenzübergang von Chile nach Argentinien. Die Höhe macht einem hier zusaetzlich zum Gewicht des Rades nochmals besonders zu schaffen, doch mir ging es besser als befürchtet. In beeindruckender Hochlandschaft in Höhen über.

 

4000 Metern zog ich freudig Richtung Grenze als mir plötzlich von vorbeifahrenden Carabinieri erklärt wird, dass ich die Ausreiseformalitäten bereits in San Pedro de Atacama (welches ich durch meine Spezialroute nie berührt hatte) erledigen müssen hätte. Südamerikanische Hilfsbereitschaft macht es möglich, dass ich bereits 24 Stunden nach dieser zunächst bedrückenden Offenbarung mit dem nötigen Stempel im Pass am chilenischen Grenzposten stehe und von dort energiegeladen weiter gen Osten radle. Das Erreichen des Paso Sico, von dessen Querung ich bereits seit Jahren immer wieder geträumt habe ist für mich ein besonderer Moment und Anlass genug mir ein kleines Cerveza zu gönnen.

 

Es folgen 3 Tage in der zwar stellenweise wiederum sehr beeindruckenden, aber von mir zugegebenermassen als etwas zu trotstlos empfundenen Hochland-Puna Argentiniens. Umso mehr freut man sich da über den Kontakt mit Einheimischen in den winzigen Doerfern dieser Gegend, die sich in “Prunk und Reichtum” in fast nichts von den mir bekannten Altiplano-Pueblos Boliviens unterscheiden. So weit ich informiert wurde sind es ebenfalls indigene Aymara-Volksgruppen die hier in solch rauher Abgeschiedenheit leben.

 

Radfahrerisches HIGHlight in diesen Tagen ist die Bezwingung des 4560 Meter hohen Passes Alto Chorillo. Einerseits ein persönlicher Rekord und andererseits wohl auch bereits einer der 5 höchsten Punkte meines gesamten Projektes!

 

Nach langer Abfahrt vom Alto Chorillo gilt es am nächsten Tag nur noch ca. 300 hm auf den Paso Abra Bianca zu bewaeltigen bevor es dann bis Salta endgültig nur noch bergab und erstmals seit langem wieder auf Asphalt dahin geht. Landschaftlich kommt es hier zu einem Totalumschwung der mich innerlich wahrlich zu Begeisterungsstürmen bewegt. Zitat-Tagebuch:

 

 “…bald sind es nicht mehr nur die spektakulären Kakteenwaelder die mich im Herzen beglücken, sondern auch die immer blumiger werdende Vegetation, die vielen herumschwirrenden Vogerl und die Umrahmung durch bizarre Sandstein-Formationen in den verschiedensten Farbtönen.”

 

Durch dieses beeindruckende Tal erreichte ich die von mir lange angestrebte Grossstadt Salta, mit fast 600.000 EW die bedeutenste Ansiedelung Nord-West-Argentiniens und für mich gleichbedeutend mit der Rückkehr in die Zivilisation. Nach 13 Tagen auf Kurs gönne ich mir hier nun die erste Dusche seit Antofagasta und ausserdem ein paar radfreie Tage bevor es weiter der Grenze in mein Schwerpunktland Bolivien entgegen geht!!!  

 

Eigentlich hätte ich von Salta nur noch auf einer flachen Hauptstrasse der Grenze nach Bolivien entgegenrasen brauchen, aber es wäre nicht ich, wenn sich da nicht doch noch eine Spezialvariante auf einer versteckten Hinterlandroute austüfteln lassen haette. Die gut 1000 hm die ich von Santa Clara auf Schotterpiste nach El Fuerte absolvieren musste/durfte waren allerdings wortwörtlich muy fuerte! Belohnt werde ich mit überaus reizvollem mediterran-subtropischem Flair in einer Gegend fern abseits jeder klassischen Radreise-Route.

 

Am nächsten Tag spule ich satte 130 Kilometer auf nun wieder asphaltiertem und sehr flachem Untergrund ab. Vorbei an einer eingezaeunten Finca nach der anderen. "Pasar prohibido! Propiedad privada!" sind hier beliebte Sinnsprueche entlang der Strasse. Die hiesigen Grossgrundbesitzer bestellen ihre Felder in der Gegend nicht selten mit Sojabohnen, die ja vielleicht auch dem einen oder der anderen Leser beim nächsten Festtagsschmaus in Form eines delikaten Schweinsbratl ueber die Leber laufen werden. Ob nun in genmodifizierter Variante oder doch nur konventionell pestizidbespritzt habe ich nicht näher hinterfragt...

 

Doch zurück zu dieser an Abwechslung kaum zu überbietenden Flachlandetappe. Selbst für meine bereits Atacama-erprobten Begriffe erhält die Bezeichnung einer "langen Gerade" hier eine neue Bedeutung. Und dennoch hat eine Strasse die auf 40 Kilometern nicht die geringste Ambition einer Richtungsänderung zeigt doch auch schon wieder einen Charm der besonderen Art. Dass ich mich über den Motorradfahrer dem ich mit meinem Patschen-Flickzeug auf halber Strecke aushelfen durfte sehr gefreut habe, möchte ich allerdings ebenso nicht vorenthalten. Und noch mehr freue ich mich dann am Abend, als mir bei einfallender Dunkelheit eine junge argentinische Familie mit 2 kleinen Chicos einen Schlafplatz in ihrer konfortablen Stadtwohnung anbietet. Auch die Superheld-Alüren mit denen ich am nächsten Morgen den Schulhof verlasse auf dem mich der Familienvater Javier seinen Alumnos präsentiert sorgen für weiteren Rückenwind. Doch diesen hätte ich heute wohl gar nicht nötig gehabt, denn auch so fliege ich dem Grenzuebergang nach Bolivien voller Energie und Freude förmlich entgegen. Die erstmalige Berührung bolivianischen Bodens auf der Brücke über den Rio Bermejo ist dann ein sehr besonderer Moment für mich. Ist es doch 4 Jahre nach meinem Auslandsprojekt beim Complejo Solar Oruro ein symbolischer Akt fuer meine Rückkehr in vertraute Gefilde.

 

Entlang des Rio Bermejo geht es nun in saftig grünen Yungas-Waeldern hoch Richtung Departementshauptstadt Tarija, welche knapp 200 km nördlich der Grenze mit Argentinien liegt. Wie generell auf der gesamten Strecke seit Salta bereiten auch hier unzählige unbekannte, farbenpraechtige Voegel und Schmetterlinge immer wieder Freude. Persönliches Highlight sind ganz klar die beeindruckenden Tucane dieser Gegend. Unzählige Extraanstiege entlang des Flusslaufes lassen mich meine körperliche Ausgezehrtheit schmerzvoll merken. So erreiche ich Tarija am 11. Mai, exakt 1 Monat nach meiner Landung in Lima.

 

Sofort werde in den Bann dieser wundervolle Stadt mit ihrem reizvollen Flair gezogen. Was besonders zu meinem Wohlbefinden hier beitraegt, ist die bezogene Unterkunft im Hostal „Casa Blanca“ in der ich gleich am ersten Abend einige sehr feine, lustige Leute kennenlernen durfte. Unter anderem durch einen Zufall den leibhaftigen Bernhard Schenkenfelder, seines Zeichens INTERSOL-Allzweckgenie bei der Kooperation MUSOL in Potosi, der dieses Wochenende auf Sommerfrische ins mediterrane Tarija gefahren ist.

 

So wohl fühle ich mich in dieser Stadt, dass ich hier schließlich nicht nur wie geplant 2-3 Tage sondern eine ganze Woche Zwischenstopp mache. Neben der hervorragenden Kulinarik (Bier gut, Rotwein gut, Essen gut) gab es für mich als radelnder Intersol-Botschafter auch zwei sehr wichtige Projektpunkte:

  

Zum einen die glückliche Bekanntschaft mit dem sehr engagierten lokalen Umweltaktivisten Gonzalo „Chulo“ Torres, der mich mit dem Motorrad an die „schoensten“ Plätze der Stadt geführt hat (Allgemeine Mülldeponie für Hausmuell, Werkstaettenabfall, medizinischen Abfall, etc....; Städtische „Kläranlage“ bestehend aus 3 hintereinandergeschalteten, stinkenden „Oxidationsbecken“ ohne jegliche technischen Maschinerie; div. Müllkippen mitten in der Stadt; etc.). 

 

Ich werde in der Hinsicht mit Chulo im Kontakt bleiben und wir wollen uns außerdem im August in Oruro wiedersehen, wo ich ihn in Kontakt mit den beiden Intersol-Kooperationen CSO und CORIDUP bringen möchte.

 

Zum anderen durfte ich als inhaltliches Projekt-Highlight meines Tarija-Aufenthalts ein einstündiges Live-Interview im Departements-Radiosender “Radio ACLO” geben, bei dem ich neben der Erläuterung meiner Unternehmung, der Erklärung der mitgeführten Solarkomponenten, einer Vorstellung des Complejo Solar Oruros und einem Aufruf zur verbesserten Müll-& Abwasserentsorgung auch die konkrete Idee eine mögliche, künftige Complejo Solar Projektarbeit in Tarija deponieren konnte.

  

Mit diesen beiden aus meiner Sicht sehr konstruktiven und positiven “Botschafter-Gesprächen” im Gepäck wird mich meine weitere Reise in die berühmte Bergbaustadt Potosi bringen, wo mit MUSOL bereits die erste Begegnung mit einer INTERSOL-Kooperation auf mich wartet. Eine mögliche Hürde auf dem Weg dort hin könnten noch die umfassenden Streiks gegen die Regierung von Evo Morales werden, welche schon seit 2 Wochen in der Stadt und auch bolivienweit herrschen. Hauptforderung ist (neben vielen anderen) eine adequate Anpassung der Pensionszahlungen. Speziell in Tarija haben sich seit einigen Tagen auch Proteste der Transportistas dazugesellt, was neben den Strassenblockaden auf den Stadteinfahrten auch zu einem Komplettausfall des städtischen sowie des Ueberland-Busverkehrs geführt hat. Im Gegensatz zu anderen Reisenden wird mich das aber kaum treffen, weil ich die friedlichen Proteste mit meinem INTERSOL-„Botschafter“-Rad aller Voraussicht problemlos passieren kann.

 

 

Daniel Sperl, Mai 2013

 

Aufbruch - Mein erster Reisetag auf dem Rad

Nachdem mit den Flug- und Bus-Transfers nach Antofagasta, Nordchile alles wie am Schnrrüchen gelaufen ist, hatte ich dann dort das grosse Glück, dass mich ein sympathisches, kanadisches Pärchen ganze 5 Nächte lang in ihrer Wohnung nächtigen ließ, damit ich mich von der langen Anreise (3,5 Tage) erholen und einige letzte Vorbereitungen fuer den Start der Radreise treffen konnte.

 

Am 18. Mai wurde es dann wirklich ernst und ich durfte endlich die ersten Tritte auf meinem voll beladenen „Panzer“ geniessen. Diese führten mich direkt hinein in die trockenste Wüste der Welt, die chilenische Atacama. Auch wenn mein Rad samt der ganzen Tonnage (Brutto-Gewicht: geschaetzte 55 kg) zunächst sehr gewöhnungsbeduerftig zu fahren war, so habe ich mittlerweile schon deutlich mehr Vertrauen gewonnen und bleibe optimistisch, dass ich auf diesem Ding (es fährt sich wie ein Pazifikfrachter – wankend aber immer gerade aus) all meine Ziele erreichen werde. Und so konnte ich damit gestern abend bereits einen höchst interessanten Ort erreichen, an dem ich dann auch mein erstes Camp der Reise bezog – die Corporación Gen, ein Agrarprojekt aus den frühen 80ern. Eine Gruppe von Agrar-Professionalisten (gewissermassen auch Utopisten) hatte es sich damals zum Ziel gesetzt die Wüste durch Bewässerung fruchtbar zu machen und kultiviert dort seither alle möglichen Pflanzen, vor allem auch Gemüse. Ich war überrascht, dass dieses Projekt nach 30 Jahren immer noch existiert und vor allem funktioniert. Ich kann nur sagen, dass die frisch geernteten Radischen heute morgen prächtig schmeckten!!! Und noch eine kleine Sensation durfte ich dort erleben. Die freundliche Señora, die mir die Radischen verkaufte war aus Bolivien, genauer gesagt aus Oruro und hatte in ihrer Hütte ein Solarpanel des Complejo Solar Oruro, bei dem ich vor 4 Jahren für INTERSOL im Einsatz war!!!!!!!! Sie war sehr zufrieden mit ihrem Panel, da sie seit der Anschaffung vor einem Jahr den Diesel-Generator zur Lichterzeugung nicht mehr benötigt.

 

Dies war ein wundervolles Zeichen für mich, dass meine Entscheidung diese Reise als Botschafter von INTERSOL zu machen eine wundervolle Sache ist. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen verlies ich diese Oase in der Wüste und genoss den heutigen Tag auf endlos langen und immer gleichen Asphaltpisten auch trotz des imensen Schwerverkehrs der hier auf Grund der unzähligen, umliegenden Kupferminen herrscht...

 

 

Daniel Sperl, April 2013

 

Naeheres zur Corporación Gen unter: www.corgen.cl

 

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